Schrippen, Kürbiskernbrötchen, ein Croissant – „und noch was Schönes“: Der wöchentliche Bäckerbesuch unserer Autorin in Halbe ist längst Geschichte. Ein persönlicher Nachruf auf eine geschlossene Bäckerei – und ein Hoch auf aktive Bäckermeister.
Von Birgit Mittwoch
Jeden Sonnabend bin ich zu meinem Bäcker nach Halbe gefahren, neun Kilometer von meinem Wohnort entfernt. In unserem Dorf hat der Bäcker schon vor mehr als zehn Jahren schließen müssen und der im Nachbarort einige Monate danach. Jeden Sonnabend lag meine Dauerbestellung für die gesamte Woche beim Bäcker Conrad in Halbe für mich abholbereit: sieben Schrippen, fünf Sonnenblumenbrötchen, fünf Kürbiskern, drei Schweden, drei Maxibrötchen, ein Croissant, ein Kürbiskernbrot. Die Brötchen in der Auslage und den Körben waren meist schon weggekauft – zu begehrt waren die Backwaren von Norbert Conrad.
Nun hat mein Bäcker zugemacht. Schon Monate vorher gab er immer mal wieder sorgenvolle Hinweise, dass Leute im Verkauf und vor allem in der Backstube fehlten und es immer schwerer werde, den täglichen Ablauf zu organisieren. Die begehrten Dominosteine zur letzten Weihnachtszeit konnten schon nicht mehr regelmäßig hergestellt werden. Die Öffnungszeiten wurden reduziert. Danach Stellenanzeigen an der Ladentür. Einige Helfer sollen sich daraufhin gemeldet haben, aber niemand von denen wollte wohl so richtig einsteigen in den Sehr-früh-anfangen-Rhythmus eines echten Handwerkbäckers. Echter Sauerteig braucht eben sehr frühe Frühaufsteher – und so gegen 2 oder 3 Uhr nachts wollte sich dann doch keiner regelmäßig vom Nachtschlaf verabschieden.
Ende März war nun der letzte Arbeitstag von Bäckermeister Norbert Conrad und seinem Team. Ich stehe noch einmal, das letzte Mal, in der Kundenschlange nach den knusprigen Bäckerwaren an. Der Mann vor mir bedauert die Schließung sehr, weiß noch nicht, bei welchen Handwerksbäcker er nun einkaufen soll. Außer Backshops von großen Ketten gibt es nicht mehr viele andere Bäcker in unserer Gegend.
Schlange vor der Bäckerei Conrad in Halbe am letzten Tag. Foto: Peter Mittwoch
Vier Generationen lang gab es die Bäckerei Conrad, vormals Palm, in der Lindenstraße in Halbe. Ortschronist Bernd Ruschke holt einige alte Fotos aus seinem Archiv. Immer befand sich die Bäckerei im selben dreistöckigen, soliden Steinhaus. Gegründet wurde sie 1904 von Hermann Palm. Ihm folgte 1927 Kurt Palm. Brot Bäckerei kann man auf dem leicht vergilbten Foto aus dieser Zeit lesen. 1960 übernahm dessen Tochter Edelgard, verheiratet Conrad, bis 1990. Es war der älteste Familienbetrieb in Halbe.
Viele Faktoren machen das Bäckerei-Handwerk unattraktiv
Keine Nachfolger, kein Verkaufs-Personal, unattraktive Arbeitszeiten, die Konkurrenz der Discount-Bäcker – die Gründe für die Schließung traditioneller Familienbetriebe sind vielfältig. Diana Lewandowski ist Innungsmeisterin der Lausitzer und Spreewälder Bäcker- und Konditoren-Innung sowie Inhaberin der Cottbuser Bio-Bäckerei Schmidt und kennt die Probleme in ihrer Branche. Sie schwört auf das traditionelle Bäckerhandwerk, dass „viel Arbeitszeit fordert, wenn man es richtig machen will und keine Fertigprodukte bzw. Fertigbackmischungen verwenden möchte“.
Für die 63jährige, die den Familienbetrieb seit 1997 als Biobäckerei betreibt, ist nicht das frühe Aufstehen das Hauptproblem, sondern eher der Umstand, dass in der Schulbildung zu wenige Schüler und Schülerinnen fürs Handwerk interessiert werden. Die guten alten Ausbildungsberufe werden immer weniger nachgefragt, dafür ist die Anzahl der Schüler, die das Abi machen wollen zu hoch, meint die Bäcker-Obermeisterin. Tatsächlich ist die Anzahl der Handwerksbäcker in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Waren es im Bereich der Handwerkskammer Cottbus 2013 noch 139 Bäckereien, so sank deren Anzahl nach Angaben der Kammer auf 110 im Jahr 2023.
Viele wollen den Job auch nicht mehr machen, weil die Bürokratie im Backgewerbe zu hoch sei, glaubt Diana Lewandowski. Es gebe viel zu viele Vorschriften, z.B. müssen die Pausenzeiten dokumentiert, die Temperaturen aller Kühlanlagen häufig kontrolliert, eine Gefährdungsanalyse für jede Maschine erstellt werden. Auch steigende Kosten machen vielen Handwerksbäckern zu schaffen – Löhne, Steuern, Berufsgenossenschaft, Energie. Wenn dann die Brötchen gezwungenermaßen auch teurer werden müssen, wandert der eine oder andere Kunde zum Supermarktbäcker ab.
Zu viel Bürokratie im Bäckergewerbe schrecke Nachfolger ab, das bestätigt auch Michael Havasi von der Handwerkskammer Cottbus. Ebenfalls sieht er im hohen Investitionsbedarf einen Grund für Schließungen: „Nicht selten besteht in den zu übergebenden Bäckereien ein erheblicher Investitionsbedarf. Dies und den Kauf des Betriebes müsste ein Nachfolger erstmal auch finanziell schultern.“ In Ausbildung seien aktuell rund 90 junge Frauen und Männer, so Michael Havasi, allerdings nicht nur Bäcker: „Sie lernen derzeit einen Beruf im Nahrungsmittelgewerbe. Dazu zählen Bäcker, Fleischer, Konditoren und die Fachverkäufer.“
Familienbetrieb im Privathaus - ohne Nachfolger
Eine von nur noch zwölf traditionellen Bäckereien zwischen Schönefeld, Gräbendorf und Königs Wusterhausen ist die „Naturbäckerei Zeesen“. Stetig klingelt hier die Glocke über der Ladentür, es kommen neue Kunden und Kundinnen hinein. Klein aber fein sind Laden und Backstube, integriert in ein Einfamilienhaus. Karin Bergzog, sonst nur mithelfende Ehefrau, schmeißt heute den Laden. Bäcker Randolf Bergzog schläft verdient, allerdings nur bis 17 Uhr, dann muss der Sauerteig wieder „gefüttert“ werden. In den Regalen liegen Ruchbrot, Weißbrot, Wurzelbrot, Kümmelstangen... Ruchbrot, so erklärt Karin Bergzog wird aus Weizen-Dinkelmehl hergestellt, das noch einen Teil der äußeren Schalenschichten enthält, also fast Vollkornmehl.
Eine Kundin kauft gerade Weißbrotzöpfe, Semmeln, Apfelkuchen – das meiste glutenfrei, da ihre Tochter darauf angewiesen ist. Sie schätze diese besonderen Backwaren, so die Stammkundin. In der Backstube stehen große Säcke mit Roggenschrot, Buchweizenmehl, Weizenruchmehl – alles natürliche Ausgangsstoffe, aus denen aufwändig der Ausgangsteig hergestellt wird, ohne Konservierungsstoffe und andere Zusätze. Karin Bergzog nimmt einen großen, runden Dinkel-Baiser-Kuchen mit schwarzen Johannisbeeren aus dem Ofen – die großen Bauernkuchen sind hier eine Spezialität.
Seit 2004 besteht die Naturbäckerei in Zeesen. Die Qualität der Backwaren misst sich an den vielen Stammkunden. Im Sommer kommen auch Badegäste vorbei, die auf dem Weg zum See die guten Backwaren gerne mitnehmen. Karin Bergzog ist 60 Jahre alt, ihr Mann 63 – so lange sie noch gesundheitlich fit sind, wollen sie weiter backen, sagt sie. Einen Nachfolger haben sie nicht – das wäre im eigenen Einfamilienhaus auch schwierig.
Innungs-Obermeisterin Diana Lewandowski sieht eine Möglichkeit die traditionellen Bäckerbetriebe zu retten auch in anderen Arbeitszeitmodellen. In größeren Städten gäbe es mittlerweile auch Bäcker, die erst um 6 Uhr mit der Arbeit an Brot, Brötchen und Kuchen anfangen und dann erst ab 10 Uhr öffnen. „Und die Kunden stehen Schlange“, meint sie.
Hochpreisig und ungewöhnliche Öffnungszeiten
Auf ein anderes Modell, das Bäckerhandwerk zu erhalten, setzt Holger Schüren aus Gräbendorf. Er ist der Gourmet unter den Handwerksbäckern, genauer gesagt: Brotsommelier. Er bietet traditionelles Handwerk gepaart mit ungewöhnlichen Rezepturen an. „Alles, was nicht schnell genug beim Koch vom Tisch ist, kommt bei uns ins Brot“, meint der zwei Meter große Mann scherzhaft: Salbei-Apfelbrot, Aprikose-Chilibrot, Schabziegerklee-Brot….. Mit 60 Broten pro Tag hat er angefangen, jetzt ist die doppelte Menge gefragt. Er war 2015 der erste Brotsommelier Brandenburgs. Heute gibt es ca. 250 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien (Südtirol). Den Titel hat er sich über ein Jahr lang in der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim erarbeiten – und auch erriechen und erschmecken müssen.
Brotsommelier Holger Schüren aus Gräbendorf. Foto: Peter Mittwoch
Beim Brotsommelier sitzen an einem Montag viele Frühstücksgäste im Gastraum. Eine davon ist Heidi, eine Seniorin, die einige Freudinnen und Freunde zum Geburtstags-Frühstück eingeladen hat. Dieses wirkt sicher problemlos weit über die Mittagszeit hinaus, so üppig sind die Teller belegt. Neben den eigenen unterschiedlichen Brotsorten und selbstgemachten Kräuterfrischkäsen, so Holger Schüren, kommen alle Frühstückszutaten von Unternehmen aus der Region: der Fisch, die Eier, die Wurst, der Honig, die Kräuter. Sonnabend und Sonntag seien die Frühstücksplätze oft schon lange vorher ausgebucht, meint der 55jährige. Sonnabend und Sonntag? Zumindest der Sonntag ist eigentlich kein traditioneller Bäckereitag… „Bei uns schon“, sagt der Brotsommelier. „Wir haben von Freitag bis Montag geöffnet, ganz entgegen den üblichen Bäckeröffnungszeiten. Bei uns kann man nicht nur bis 16 Uhr frühstücken, sondern auch ein kleines Mittagessen bekommen.“
„Der Laden läuft“, freut sich auch Bäckermeisterin Jana Schüren, die eigentliche Chefin. Sechs Angestellte, sie eingeschlossen, werkeln an Brot, Brötchen, Back- und Konditorwaren. Dazu kommen je nach Bedarf noch einige Hilfskräfte. Die Arbeitszeiten sind die üblichen: Der Sauerteig braucht lange, schon am Abend geht’s los in der Backstube, bis 5 Uhr früh ist immer etwas zu tun. Der Sauerteig sei „langzeitgeführt“, mal kaltgestellt, mal wärmer behandelt – eine echte Diva brauche eben besondere Zuwendung, erklärt Holger Schüren. Je länger der Teig gedeihe, desto länger sei das Brot auch haltbar. Eines seiner Brote heißt daher auch Langschläferbrot – also hier durfte der Teig länger „schlafen“, nicht der Kunde.
Fachgespräch an der Bäcker-Theke: beim Brotsommelier in Gräbendorf. Foto: Peter Mittwoch
Sein Wissen und seine Brot-Philosophie gibt Holger Schüren gerne und regelmäßig in Seminaren weiter, die allesamt gut gebucht sind. Dabei geht es auch um die Verarbeitung alter Getreidesorten – wie Emmer, Dinkel, Einkorn. Die Vielfalt der deutschen Brotkultur müsse erhalten werden, das ist Holger Schüren wichtig. Er sieht sich nicht als sogenannter Grundversorger, sondern schon im Premiumbereich. „Qualität darf auch einen höheren Preis haben. Erst wenn diese Qualität abnimmt, dann ist der Preis nicht mehr gerechtfertigt.“
Mit Vielfalt, Sorgfalt, Ideenreichtum hat sich der Brotsommelier eine feste Stammkundschaft erarbeitet. Ein Bäckereimodell, mit dem er und sein Handwerk gut weiterleben kann. Familie Bergzog wird noch so lange in ihrer Naturbäckerei werkeln, wie es möglich ist. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. In der Biobäckerei von Diana Lewandowksi in Cottbus ist dagegen für „Nachwuchs“ gesorgt. Ihr Sohn arbeitet als Bäcker bereits mit und auch ihre kleine Enkelin zeigt zumindest schon Interesse am Mithelfen in der Backstube.
Die letzten Brötchen vom Bäcker Conrad aus Halbe sind inzwischen längst vo unserem Frühstückstisch weggeputzt. Nicht nur diese guten Backwaren werden mir fehlen, auch die freundliche Nachfrage der Verkäuferin: „Und, noch was Schönes“? Ich werde mir wohl eine neue Handwerksbäckerei suchen müssen. Einige gibt es ja doch noch.
INFO: Deutsche Brotkultur ist immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe:
Deutsches Brot ist in seiner Vielfalt einzigartig. Mehr als 3.000 Brotsorten soll es in Deutschland geben.
2014 wurde die Deutsche Brotkultur in die Liste des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Die enge Verbindung zum Brot spiegelt sich auch in der deutschen Sprache wieder: Brotzeit, Abendbrot, Frühstück.