Eine preisgekrönte Collage der Schülerin Marleen Krüger zum Thema „Jüdisches Leben in Lübben“ soll in die Dauerausstellung des Stadt- und Regionalmuseums Schloss Lübben aufgenommen werden.
Von Ingrid Hoberg
Marleen Krüger (17) ist Schülerin des Paul-Gerhardt-Gymnasiums, sie besucht die 12. Klasse. Und sie interessiert sich für die Spuren historischer Ereignisse in ihrer Heimatstadt. Ein Thema, das auch im Unterricht aufgegriffen wurde, hat sie besonders berührt: das Schicksal jüdischer Menschen. Ihr Jahrgang besuchte das Konzentrationslager Auschwitz, im Unterricht wurde der Holocaust thematisiert. „Aber das war mir zu wenig regionale Geschichte“, sagt sie und sie wollte mehr erfahren. Deshalb ging sie auf Spurensuche. „Ich habe einfach begonnen und hatte keine Ahnung, wie ich das Thema umsetzen könnte“, erzählt Marleen Krüger.
Am Ende fand sie eine Form, die ihr den zweiten Platz beim Rolf-Joseph-Preis einbrachte, der in diesem Jahr zum zehnten Mal ausgelobt war. Es ist ein Plakat entstanden, das aussagekräftig das frühere jüdische Leben in der Stadt Lübben darstellt und Teil der Dauerausstellung im Museum Schloss Lübben werden soll. Sie habe überlegt, wie es am besten gelingt, viele Informationen zu Einzelschicksalen auf wenig Platz unterzubringen. „So bin ich auf die Collage gekommen. Die künstlerische Umsetzung liegt mir“, begründet Marleen Krüger ihre Entscheidung.
„Das Chai-Zeichen steht für die Blütezeit jüdischen Lebens, für den Aufschwung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Juden vor der NS-Zeit in der Spreewaldstadt.“
Marleen Krüger
In der Mitte steht in Gold das hebräische Zeichen „Chai“ für „Leben“. Aufgeführt sind Namen von jüdischen Lübbener Bürgern, Fotos, Grabsteine, Stolpersteine, ein Zeitungsausschnitt, Briefzitate, historische Häuserzeilen, aktuelle Stadtansichten. Glassplitter verweisen auf die Plünderung und Zerstörung von Geschäften im Zusammenhang mit den Novemberpogromen im Jahr 1938. Auch die Lübbener Synagoge wurde damals zerstört – eine Gedenktafel und im Boden ein Davidstern erinnern heute an den Ort. „Das Chai-Zeichen steht für die Blütezeit jüdischen Lebens, für den Aufschwung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Juden vor der NS-Zeit in der Spreewaldstadt. Das Zeichen soll darstellen, dass es ein jüdisches Lübben gab, das durch die Nationalsozialisten zerstört wurde. Alles, was an diese jüdische Zeit erinnert, sind Gedenksteine, Straßennamen und freie Flächen, wo einst das jüdische Leben blühte“, erklärt Marleen Krüger. Zehn Stolpersteine wurden in Lübben verlegt.
Die Collage "Chai heißt Leben - auch in Lübben" soll einen Platz in der Dauerausstellung des Museums Schloss Lübben bekommen. Foto: Marleen Krüger
Vor der Gestaltung dieser eindrucksvollen Collage stand eine intensive Recherche im Museum Schloss Lübben. Die Publikation „Das jüdische Lübben. Einblicke in eine vergangene Epoche“ des Lieberoser Historikers Andreas Weigelt und Gespräche mit ihm waren weitere Informationsquellen. Die Schülerin besuchte die Gedenkstätte Lieberose/Jamlitz, die an das vor 80 Jahren errichtete Außenlager des KZ Sachsenhausen und an das Massaker von 1945 erinnert. Über Ilka Gelhaar-Heider, die seit Jahren in diesem Bereich aktiv ist, bekam die Gymnasiastin Kontakt zu den Nachfahren jüdischer Familien, die einst in Lübben lebten. Sie ermöglichten Marleen Krüger, Fotos dieser Familien für ihre Collage zu verwenden.
Und mit dieser Arbeit hat sie sich dann direkt beim Wettbewerb für den Rolf-Joseph-Preis 2023 beworben. „Ich hatte die Ausschreibung auf der Internetseite des Jüdischen Museums Berlin gesehen“, sagt sie. „Ich habe alle Freizeit da reingesteckt, weil das für mich wichtig war.“ Dass die Jury ihren Beitrag preiswürdig fand, ist eine große Anerkennung für die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Jüdisches Leben in Lübben“. Ihre Eltern unterstützten ihr Engagement und begleiteten Marleen zur Preisverleihung. „Es war ein Wochenende mit verschiedenen Aktionen, Workshops und Führung durch das Museum“, erzählt sie. Am Freitagabend wurde es mit einem Besuch des Sabbat-Gottesdienstes in der Synagoge Pestalozzistraße eingeleitet. Der Rolf-Joseph-Preis ist in den Räumen der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin im Oktober verliehen worden. Marleen Krüger hatte bei der feierlichen Veranstaltung zu dem Thema „Jüdisches Leben – damals und heute“ Gelegenheit, ihre Collage selbst vorzustellen – auf beeindruckende und anschauliche Weise vor rund einhundert Gästen. „Ich habe tolle Menschen kennengelernt“, sagt sie im Rückblick.
Die Museums-AG des Paul-Gerhardt-Gymnasiums Lübben mit Marleen Krüger (Mitte, vorn). Foto:privat
Das Thema Geschichte lässt die junge Lübbenerin auch darüber hinaus nicht los. Sie engagiert sich in der Museums-AG ihrer Schule. Zwischen dem Paul-Gerhardt-Gymnasium und der Stadt Lübben gibt es seit einigen Jahren einen Kooperationsvertrag zur Projektarbeit, die über den Regelunterricht hinausgeht. „Neben historischen, heimatkundlichen und zeitgeschichtlichen Beständen befinden sich im Museum auch technische, naturkundliche und literarische Bestände, die eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für den Unterricht in verschiedenen Fächern erscheinen lassen“, heißt es im Kooperationsvertrag. Zu den konkreten Projekten gehört die jüdische Regionalgeschichte.
„Mit der Geschichtslehrerin sind bisher halbjährlich verschiedene Themen abgestimmt worden“, sagt Museumsleiterin Corinna Junker. „Wir sind stolz auf die jungen Leute, die zu uns ins Museum kommen.“ Sie wertet die Beschäftigung mit der Historie für die Persönlichkeitsbildung als bedeutsam. Großen Anklang fand beispielsweise die Sonderausstellung „That’s life – Schulalltag am Paul-Gerhardt-Gymnasium“, die im Frühjahr im Museum Schloss Lübben zu sehen war. Geschichtslehrerin Isabell Burmeister hatte gemeinsam mit der Museumsleiterin dieses Projekt begleitet. Zeitzeugen waren befragt worden, Schulutensilien zusammengetragen. So wurde der Schulalltag von vor 40 und vor 20 Jahren lebendig dargestellt. Bürgermeister Jens Richter und Brit Mühmert, Schulleiterin des Paul-Gerhardt-Gymnasiums, waren zur Eröffnung gekommen.
Die Museums-AG besichtigte das Richard-Raabe-Haus in Lübben. Fotos: privat
Für die Ausstellung "That's life - Schulalltag am Paul-Gerhardt-Gymnasium" hat die Museums-AG Interviews geführt und rund 150 Fragebögen ausgewertet.
Neben Marleen Krüger sind es auch Lutz (17) und Laura, die in der Geschichts-AG mitarbeiten. „Ich finde Geschichte spannend“, sagt die 16-jährige Laura. Auch wenn der Unterricht nicht immer das biete, was sie interessiert. Exkursionen und die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und der Museumsleiterin sind für sie spannend. „Wir sind immer gern gesehen im Museum“, hat Laura festgestellt und würde sich wünschen, dass sich mehr junge Leute für geschichtliche Themen interessieren. Die Berufspläne von Lutz und Laura haben bisher nichts mit Geschichte zu tun, doch Marleen kann sich ein Studium in dieser Richtung vorstellen – um dann vielleicht als Museumspädagogin oder wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Einrichtung tätig zu werden.
Info
Der Rolf-Joseph-Preis wird seit 2013 jährlich an Schülerinnen und Schüler verliehen, die sich in kreativen Projekten mit Geschichte oder Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland auseinandersetzen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der 5. bis 13. Klasse konnten sich mit Einzel- oder Gruppenbeiträgen zum Thema „Na, alles כשר [koscher]?! – Jüdisches Leben damals und heute“ beteiligen.
Es wurden folgende Projekte ausgezeichnet:
1. Preis: „Von Markenhof nach Palästina – zionistische Träume im Dreisamtal“ (Geschichts-AG des Kollegs St. Sebastian, Stegen)
2. Preis: „Chai heißt Leben – auch in Lübben“ (Marleen Krüger, 11. Klasse des Paul-Gerhardt-Gymnasiums Lübben)
3. Preis: „Spuren jüdischen Lebens in Augsburg entdecken“ (8.-10. Klasse des Maria-Ward-Gymnasiums Augsburg)