Sachpolitik statt Empörungsroutine
Wildau entscheidet am 18. September über den künftigen Bürgermeister. Im Nachbarort Königs Wusterhausen ist Michaela Wiezorek seit gut einem Jahr Rathaus-Chefin. Wir sprachen mit ihr über das erste Jahr – und was sie Neulingen mit auf den Weg gibt.
Von Dörthe Ziemer
Einiges unterscheidet Michaela Wiezorek von ihrem künftigen Amtskollegen in Wildau – wer immer es werden wird. Sie wurde von einem breiten Parteienbündnis als Kandidatin aufgestellt – ohne dass sie zunächst selbst kandidieren wollte. Das Bündnis 21 – bestehend aus dem SPD Ortsverein, dem CDU Stadtverband, dem Stadtverband der Linken, der Vereinigung Wir für KW sowie Bündnis 90 / Die Grünen – war zunächst angetreten, um die Abwahl des früheren Bürgermeisters Swen Ennullat voranzutreiben. Anschließend einigten sich die Parteien auf eine gemeinsame Kandidatin für die Neuwahl. Michaela Wiezorek schaffte es im ersten Wahlgang, die notwendige Mehrheit zu erlangen – bei zwei Gegenkandidaten und einer Gegenkandidatin. Die gelernte Bauzeichnerin und spätere Ingenieurin war seit 2016 Fachbereichsleiterin in der Stadtverwaltung Königs Wusterhausen und zuvor an anderen Stellen im öffentlichen Dienst tätig.
Die beiden Kandidaten für die Stichwahl in Wildau Frank Nerlich und László Ungvári sind parteilos und als Einzelbewerber angetreten. Frank Nerlich ist derzeit Stadtverordneter der Fraktion Bürger für Wildau / Grüne und arbeitet als Projektleiter bei DSPN, einer Firma, die Kommunen und Unternehmen beim Aufbau sowie der Weiterentwicklung gesundheitsförderlicher Strukturen und Netzwerke berät und begleitet. László Ungvári war von 1999 bis 2017 Präsident der Technischen Hochschule Wildau sowie von 2019 bis 2020 Präsident und Rektor der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty. 2015 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wildau ernannt.
Von Michaela Wiezorek wollten wir wissen, was es für ihre bisherige Amtszeit bedeutet hat, dass sie aus der gleichen Verwaltung kam, der sie nun vorsteht, und ein Parteienbündnis hinter ihr stand. Die Bürgermeisterin spricht besonnen, aber resolut. Im Gespräch kommt sie immer wieder auch auf den großen gesellschaftlichen Rahmen zu sprechen, in dem sich ihre Arbeit bewegt. Gern verweist sie zwischendurch auf Bücher und Texte, die sie gelesen hat. Doch vor allem geht es ihr um das konkrete Miteinander vor Ort – um die Sachpolitik.
Wie ist Ihr erstes Jahr im Bürgermeisteramt gelaufen – gemessen an Ihren Erwartungen?
Dazu möchte ich zunächst reflektieren, was meine Erwartungen waren: dass es gelingen möge, Ruhe in die Stadtpolitik, aber auch ins Rathaus hineinzubekommen. Es gab ja damals eine große Empörungsroutine auf beiden Seiten. Und es war klar: Wir müssen wieder auf die Sachebene kommen. Dazu braucht es viel Vermittlung und viel Austausch. Ich denke, das ist mir gelungen.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Mein Mantra ist ja immer „sprechenden Menschen kann geholfen werden“… Das ist eine gute Form, um in die Sacharbeit und in die Sachdiskussion zu kommen, das bedingt einander auch. Die Frage ist doch: Woran werden wir als Verwaltung gemessen? – Daran, wie politische Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, und das braucht eine gute Vorbereitung. Weil drei Fachbereichsleiter-Stellen nicht besetzt waren, lagen viele Sach- und Fachentscheidungen auf meinem Tisch. Zugute kam mir dabei, dass ich das Haus kannte und die Sach- und Fachkompetenz in vielen Themen schon besaß. Dennoch hat mich dieses erste Jahr enorm gefordert und angestrengt.
„Wer in meiner Position denkt, er könne alles allein, der ist dort falsch. Nur in einem qualifizierten Team kann man sachlich gute Entscheidungen treffen.“
Hat sich das inzwischen auf einem dauerhaft tragbaren Level eingepegelt?
Noch nicht ganz. Uns steht noch die Organisationsuntersuchung bevor. Aber auf der Dezernentenebene bin ich da, wo ich hinwollte. Das war ja meine Bedingung, als ich mich für die Kandidatur entschlossen habe: dass wir Dezernenten einstellen, um die Verantwortung verteilen und damit gemeinsam gestalten zu können. Wer in meiner Position denkt, er könne alles allein, der ist dort falsch. Nur in einem qualifizierten Team kann man sachlich gute Entscheidungen treffen und gute Beschlussvorlagen erstellen.
Welche Rolle spielte es, dass Sie als Kandidatin von einem breiten Parteienbündnis aufgestellt wurden? In Wildau gab es ja nur einen von einer Partei nominierten Kandidaten, die anderen waren Einzelbewerber.
Zunächst muss man festhalten: Das Bündnis hat mich angesprochen, ich selbst hatte ja gar keine Absicht, Bürgermeisterin zu werden. Wenn sich Parteien, so unterschiedlich sie sind, auf eine Kandidatin einigen, dann ist das ein gutes Format, um mit einem breiten Bündnis im Rücken gute Entscheidungen für die Stadt treffen zu können. In den jetzigen Sachdiskussionen merkt man die Unterschiede zwischen den Parteien wieder, aber das kann eine Demokratie nur stärken. Wenn man einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe pflegt, dann kann man sich in der Sache streiten. Und man darf nicht Mehrheiten herbeischaffen wollen, indem man andere diskreditiert. Leider bestimmt dieses Denken in Schwarz-Weiß zunehmend unsere Gesellschaft, aber es gibt doch immer viel mehr Grautöne.
„Ich habe nach wie vor einen Heidenrespekt vor dieser Aufgabe, Bürgermeisterin zu sein.“
Was haben Sie in diesem Jahr erlebt, was sie so nicht erwartet hatten?
Obwohl ich ja schon im Rathaus gearbeitet hatte, war ich plötzlich mit Aufgaben konfrontiert, die ich vorher nicht kannte. Mein Aufgabenfeld ist geradezu explodiert und ich war von der Tiefe der Verantwortung überrascht. Ich habe nach wie vor einen Heidenrespekt vor dieser Aufgabe, Bürgermeisterin zu sein.
Was raten Sie Menschen, die ins Bürgermeisteramt streben oder frisch gewählt sind?
Wer für so ein Amt kandidieren möchte und bisher nichts mit Verwaltung am Hut hatte, dem rate ich, in die Verwaltungen zu gehen und nachzufragen, was und wie dort gearbeitet wird. Es wird häufig überschätzt, was für eine Arbeit der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister) eigentlich hat. – Und dann kann einen das regelrecht überrollen. Es gibt Weiterbildungsinstitute, kommunale Einrichtungen und Vereine, die gute Schulungen anbieten, diese sollte man nutzen. Sehr gut finde ich das Buch „Rettet die Demokratie“ von Dirk Neubauer, Bürgermeister von Augustusburg in Sachsen. Das kann ich jedem nur empfehlen. Insgesamt sollte man keine Angst vor dem Amt haben, aber Respekt, und diesen sollte man sich immer bewahren.
Gab es weitere „Überraschungen“ in diesem Jahr?
Überrascht haben mich Gespräche nach der Wahl, in denen Menschen sagten: „Wir haben Sie zwar nicht gewählt, aber wir finden es gut, wie Sie das jetzt machen.“ Oder: „Wir schauen jetzt erstmal, wie Sie das machen.“ Das zeugt von einem respektvollen Umgang miteinander.
Ich war auch von der Zusammenarbeit in der kommunalen Arbeitsgemeinschaft hier im Landkreis positiv überrascht. Unsere Städte und Gemeinden könnten unterschiedlicher nicht sein, aber es gibt einen guten Austausch untereinander. Das zu erleben, stärkt einen im Amt. Wir sind zwar manchmal auch Konkurrenten, etwa wenn es um Fördermittel geht. Aber wenn man mit dem Denken nicht an der eigenen Gemarkungsgrenze aufhört, kann eine große Kraft aus der kommunalen Familie erwachsen. Das hilft uns, beispielsweise mit dem enormen Entwicklungsdruck hier im Norden umzugehen.
Wie empfinden Sie das Miteinander zwischen Nord und Süd im Landkreis?
Ich hatte das Gefühl, durch die Lausitzmittel wird die Trennung eher verschärft. Wir hatten ja die Diskussion um das Ausbildungszentrum der Handwerkskammer Cottbus in Königs Wusterhausen, das nicht mit Lausitzmitteln gefördert wird und nun vor dem Aus steht. Immer heißt es, der Norden wäre so stark, dort gebe es so viel Geld. Doch das stimmt nicht. – Der Süden ist auch stark, nur eben anders. Das bedingt sich gegenseitig und wir brauchen einander. Wir sollten uns da nicht so auseinanderdividieren lassen, sondern mehr Miteinander pflegen. Deshalb können wir mit Spannung auf die Landratswahl im nächsten Jahr blicken…
„Auch Abwahlen sorgen dafür, dass das Amt des Bürgermeisters beschädigt wird: Wenn es nur noch um Einzelinteressen geht, wegen derer jemand gehen muss, wird das Amt beliebig.“
Stichwort Wahl: Die Wahlbeteiligung bei den Bürgermeisterwahlen war ja zuletzt nicht so hoch. In Lübben lag sie bei 42 Prozent in der Hauptwahl und 30 Prozent in der Stichwahl. In Königs Wusterhausen gingen 44 Prozent wählen. Auch die Abwahlen in Ihrer Stadt und in Wildau mobilisierten weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten. Was glauben Sie, woran das liegt? Wie kann man das ändern?
Viele sind immer sehr auf die Bundesebene fixiert. Dem Bürger ist oft nicht klar, was seine Stimme auf der kommunalen Ebene bewirken kann. Aufgabe von Verwaltung und Politik ist es, die Chancen, die im Wahlamt liegen, sichtbar zu machen. Allerdings haben die Sozialen Medien dazu beigetragen, dass das Interesse, so ein Amt zu übernehmen, sinkt. Wenn Menschen lautstark diffamiert werden, darf man sich nicht wundern, wenn sich immer weniger engagieren wollen. Auch Abwahlen sorgen dafür, dass das Amt des Bürgermeisters beschädigt wird: Wenn es nur noch um Einzelinteressen geht, wegen derer jemand gehen muss, wird das Amt beliebig. Allerdings gab es auch Amtsinhaber, die es ihrerseits entwürdigt haben.
Ist es vor diesem Hintergrund förderlich oder schädlich, wenn die Parteien auf kommunaler Ebene eine immer geringere Rolle spielen?
Die Kritik an einer Nominierung durch eine Partei lautet ja meist, dass man dann durch eine Richtschnur geprägt ist, sobald man ein Amt erreicht hat. Das haben sich aber Parteien selbst zuzuschreiben, wenn sie so kritisch bewertet werden: Denn sie haben häufig ein Problem damit, wenn sich „ihr“ Kandidat im Amt dann als überparteilich versteht und die Parteipolitik nicht umsetzt. Dabei ist es für das Amt enorm wichtig, unabhängig zu sein. Die Aufgabe des Bürgermeisters ist es ja, unterschiedliche Partei-Interessen zu bündeln und für ein gemeinsames Ziel Mehrheiten zu organisieren. Ich habe den Parteien des Bündnis 21 gesagt, dass sie dafür sorgen müssen, dass sie Vorschläge nicht allein deshalb ablehnen, weil sie von einer anderen Partei kommen. Doch es gibt, gerade in den Sozialen Medien, auch zunehmenden Druck auf die Entscheidungsträger. Dabei hat die Emotionalität zugenommen, das ist schädlich.
„Aufgabe von Verwaltung ist es, Bürger und Politik in die Lage zu versetzen zu verstehen, was gerade passiert.“
Da sind wir mitten drin im Dreieck aus (sach- und fachkompetenter) Verwaltung, Bürgermeinung und den gewählten Vertretern, die am Ende die politischen Entscheidungen treffen müssen. Wie vermitteln Sie in diesem Dreieck?
Ich halte die Bürgerbeteiligung für enorm wichtig. Aber es kommt nicht darauf an, dass der Bürger alles sagen darf und das dann umgesetzt wird. Sondern Aufgabe von Verwaltung ist es, Bürger und Politik in die Lage zu versetzen zu verstehen, was gerade passiert. Beispiel Bebauungspläne: Damit treffen wir Entscheidungen für Jahrzehnte. Deshalb wollen wir als Verwaltung Qualität in die Prozesse bringen, frühzeitig mit den Vorhabenträgern und Betroffenen reden und gemeinsam gute Entscheidungen treffen. Dazu braucht es eine Bürgerbeteiligung, die in den Formaten sicher ist.
Was bedeutet das?
Es geht zum Beispiel nicht, wenn der Vorhabenträger die Beteiligung organisiert. Das muss von der Verwaltung kommen. Wir müssen die Spielräume aufzeigen, die bestehen, und in diesem Rahmen Entscheidungsmöglichkeiten darlegen. Wir müssen Antworten auf Fragen haben, sonst kann man dem Bürger nicht signalisieren, dass etwas zu seinem Wohle ist. Nichts ist schlimmer als eine Bürgerbeteiligung, die zu keinem Ergebnis führt oder bei der die Bürger etwas entscheiden, was gar nicht umgesetzt werden kann.
Das erfordert zusätzlich zu den vorgeschriebenen Beteiligungen großen Aufwand…
Ja, und wir alle wissen, dass die Verwaltungen über Jahrzehnte abgebaut wurden. Doch die Kommunen müssen in der Lage sein, fachlich damit umzugehen, was im Ort passiert. Wir hier in Königs Wusterhausen müssen zum Beispiel damit umgehen, dass zahlreiche Investoren mit ambitionierten Projekten vor der Tür stehen. Darum mein Bemühen um Qualität in der Verwaltungsarbeit. Wenn die nicht da ist, gibt es zwar Wahlmöglichkeiten, aber der Bürger versteht am Ende die Entscheidungen nicht.
Auf dem Flur vor Ihrem Büro hängen fast nur weibliche Namensschilder an den Türen… Wie hoch ist der Frauenanteil in Ihrem Haus und wie wirkt sich das aus?
Auf der Dezernentenebene sind wir, mit mir, 50:50 aufgestellt. Auf der weiteren Führungsebene haben wir einen hohen Frauenanteil. Doch bei uns sind die Fachkompetenz und die Teamfähigkeit entscheidend. Wir brauchen Fachkräfte, um die Herausforderungen zu bewältigen. Uns steht auch noch die Organisationsuntersuchung bevor. Hier ist es wichtig, dass es da nicht um meine Ideen von Verwaltung geht, sondern dass das von allen getragen wird. Bei aller Kritik und Verunsicherung in Bezug auf die Untersuchung stelle ich fest, dass wir gerne zur Arbeit kommen – in einer Atmosphäre des gemeinsamen Wollens. Bei aller Sorge darum, was wir schaffen können, treibt uns das eine an: Wir kriegen das hin.
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