Lyrische Impulse
Am Ufer des Halber Heidesees, im Rahmen der Lesereihe Halbe.Zukunft, war die sorbische Lyrikerin Róža Domašcyna zu Gast: Hier eine ehemalige Tongrube, die Hinterlassenschaften der Ziegelei auf ihrem Grund birgt, dort Tagebaue, die nicht nur Dörfer, sondern die sorbische Sprache weggebaggert haben.
„In Gedichten geht es darum, Menschen zu inspirieren, ihnen einen Impuls zu geben – nicht darum, etwas zu erklären“, sagt die Lyrikerin Róža Domašcyna. Sie gehört zu den wichtigsten Stimmen der deutsch-sorbischen Dichtung und der zeitgenössischen Lyrik. Mit ihren Gedichten wandert sie zwischen der deutschen und der obersorbischen Sprache hin und her, schlägt Brücken und stellt Gewissheiten infrage.
Podcast mit Róža Domašcyna am Halber Heidesee
In der Lesereihe „Halbe.Zukunft“ war sie im Mai im Kaiserbahnhof Halbe zu Gast – einem Ort, der zwar nicht annähernd so stark wie die Oberlausitz, aber dennoch seinen Strukturwandel erlebt hat: Einst bestimmten Ziegeleien das Leben in den Dörfern im Dahmeland, aus den Tongruben sind heute Badeseen geworden. Wie fragil die Natur nach solchen Eingriffen ist, was diese für die Menschen bedeuten – das thematisiert die Dichterin in ihren Werken immer wieder. Besonders eindrucksvoll ist ihr Gedicht „Im vorstau, abgelassen“, in dem sie beschreibt, was sich am Grund des Bautzener Stausees erleben lässt, wenn alle 20 Jahren das Wasser abgelassen wird: ein versunkenes, ein vergangenes Leben, das plötzlich ins Heute geholt wird.
„Die vollendete Spekulation führt zur Natur zurück.“
Novalis, Dichter der Romantik
„Die vollendete Spekulation führt zur Natur zurück“, zitierte Róža Domašcyna den Dichter Novalis. Sie erzählte von den Rutschungen am Knappensee bei Hoyerswerda im vergangenen Jahr. Das ist einer der ältesten künstlichen Seen im Lausitzer Seenland, der ab 1945 durch unkontrollierte Flutung entstanden ist und dessen nordöstliches Ufer 2021 von Rutschungen betroffen war. „Veränderungen, die der Mensch bewerkstelligt, bringen wiederum Veränderungen hervor“, sagte die Dichterin. Die Tagebaue waren es, die ihre Leidenschaft Berufung werden ließ: Als Ingenieurin konnte sie schon kurz nach der Ausbildung nicht mehr begreifen, was mit der Landschaft in der Lausitz und mit den Menschen geschieht.
Denn die Bagger haben nicht nur die Landschaft umgewälzt, die bis heute in Bewegung ist. Sie haben auch rund 150 sorbische Dörfer und damit die sorbische Sprache weggebaggert. Denn in der deutschsprachigen Mehrheitsgesellschaft Sorbisch zu sprechen und an die Kinder weiterzugeben – das war vielen Sorben kaum mehr möglich. Róža Domašcyna hatte einen Kollegen erlebt, der in der Öffentlichkeit nicht mehr Sorbisch sprechen wollte. Sie bewarb sich am Leipziger Literaturinstitut, um „auf ihre Art zu sagen, was passiert“. Seit 1990 ist sie freie Schriftstellerin, 2018 wurde sie mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Ob sie sie wütend macht – diese Zahl von 150 Dörfern, wollte Moderator Mirko Schwanitz in Halbe von Róža Domašcyna wissen. Es seien die Muster von Macht und Ohnmacht, Mehrheit und Minderheit, David und Goliath, die wütend machten, sagte die Lyrikerin: Wo Sprache und Kultur nur noch auf Trachten und Traditionen reduziert würden, da werde das Sorbische benutzt. Halbe, erinnerte sie, hieß früher Łobje. Den sorbischen Namen kenne man vielleicht noch, doch die Sprache lebe hier nicht mehr – wie vielerorts in der Niederlausitz und zunehmend auch in der Oberlausitz.
Als Zuhörer schlug Ralf Fröhlich, Inhaber des Esperanto-Bahnhofs in Halbe, die Brücke zu der Kunstsprache Esperanto: Esperantisten in aller Welt seien darauf angewiesen, sich zu erkennen und zu finden, um die Sprache praktizieren zu können. Deshalb hätten australische Esperantisten eine App entwickelt, die dabei behilflich ist. Für das Sorbische könne so ein digitales Hilfsmittel ebenfalls passen, sagte er.
Gibt es einen positiven Ausblick? Der entstehe dort, wo sich die Menschen nicht nur über das definieren, was war, sondern Sprache und Kultur auf moderne Art leben, sagt die Lyrikerin: Sorbische Ansagen im Zug – neben englischen, polnischen und tschechischen. Zeitgenössische Musik mit sorbischen Texten, Aktionen wie „Sorbisch, na klar“ – das seien Möglichkeiten, um die sorbische Sprache wieder leben zu lassen. Viele Impulse, ganz im Sinne von Lyrik, gehen auch von dieser Dichterin aus: „In einem Gedicht kann so viel stehen – mehr als in manchem Roman“, sagt Róža Domašcyna.
Dörthe Ziemer
Der Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Verein Halbe.Welt als Veranstalter.
Weitere Berichte zur Lesereihe:
>>> Michal Hvorecký: „Troll“
>>> Robert Prosser: „Gemma Habibi“
>>> Lizzie Doron: „Was wäre wenn“
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