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Robert Prosser boxt sich durch

Aus seinem aktuellen Roman über zwei junge Boxer und eine Fotografin, die zwischen Flucht und Meisterschaft, zwischen Kurdistan, Wien und Ghana leben, hat der österreichische Autor Robert Prosser in der Lesereihe „Halbe.Zukunft“ im Kulturbahnhof einen Ausschnitt in einer Performance vorgetragen und die Zuhörer nicht nur für das Boxen begeistert.

Von Ingrid Hoberg

Also, ob mich der Buchtitel „Gemma Habibi“ und das Coverbild, zwei vom Betrachter abgewandte junge Männer an einem Zugfenster, in einer mit Lesestoff überfüllten Buchhandlung dazu angeregt hätten, zuzugreifen und wenigstens den Klappentext zu lesen – das kann ich im Nachhinein nicht sagen. Den Titel habe sich der Verleger gewünscht – wie Robert Prosser erzählt. In diesem Vorschlag liegt sicher langjährige Erfahrung – und vielleicht geben ihm die Verkaufszahlen ja recht. Ein bisschen erschließt sich dem märkischen Zuhörer der Sinn, wenn der Autor selbst den Titel ausspricht.  „Gemma! Komm schon!“, wie der Österreicher sagt. Und „Habibi“ klingt dann schon wie der aus dem arabischen Sprachraum abgeleitete Kosename für einen Freund.

Also „Mach mein Freund – zeig, was du drauf hast!“ „Gemma Habibi!“, das ist ein Spruch, den der Autor, selbst passionierter Boxer, immer wieder in den Trainingshallen gehört hat – besonders nachdem im Jahr 2015 mit dem Flüchtlingsstrom aus Syrien viele junge Männer nach Österreich, nach Wien gekommen waren und dort einen Ankerpunkt beim Boxen fanden. Er schildert, wie sich sein Protagonist auf einen Boxkampf vorbereitet, ihn durchlebt und wie ihn sein Trainer Simon antreibt. Der Leser ist im Kopf des Boxers mit dabei. Alles dreht sich um den Sieg – das Überleben in diesen Minuten.

Lesung mit Robert Prosser im Kaiserbahnhof Halbe. Foto: Ingrid Hoberg

Prosser, Jahrgang 1983, ist nicht in erster Linie Boxer – aber eben auch! Er ist ein reisender Autor, der in seine Bücher das einfließen lässt, was er als Student, Hip Hoper, Backpacker, Journalist erlebt, erfahren hat. In seinem Roman „Phantom“, der 2017 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, unternimmt er eine Reise durch Bosnien. Er schildert den Jugoslawienkrieg, die Verbrechen, die nicht aufgearbeitet wurden. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die Jahrzehnte später auf den Spuren ihrer Mutter nach Bosnien-Herzegowina reist und die Folgen des Krieges spürt. „Dieses packende Buch ist eine präzise Vermessung unserer konfliktreichen Gegenwart“, stellte Katja Gasser, 3sat Kulturzeit, im Jahr 2017 fest – und das ist heute aktueller denn je.

In Halbe nun die Geschichte, die sich vom syrischen Kurdistan über Wien bis nach Ghana zieht mit der österreichischen Amateurboxszene als Hintergrund für die Romanhandlung. Dabei schöpft Prosser nicht nur aus eigenen Erfahrungen, er hat beispielsweise mit Josef Pühringer über die musikalischen Aspekte der Schlagfolge beim Boxen gesprochen: „Tanze Samba mit mir …“ von Tony Holiday oder der Säbeltanz von Aram Chatschaturjan – darin liegt der Unterschied. Die kulturelle Prägung bestimmt den Boxrhythmus. Und in der Figur des Simon ist Trainer Ale Angrick wiederzufinden. „Das Tänzelnde ist der Sprache des Romans anzumerken“, stellt Mirko Schwanitz fest. Der Moderator der Lesung war als Journalist selbst seit 1992 in Ost- und Südosteuropa unterwegs und 1994 während der serbischen Belagerung Bosniens in Sarajevo vor Ort.

Performance des Romans "Gemma Habibi" von Robert Prosser. Foto: Ingrid Hoberg

Performance des Romans "Gemma Habibi" von Robert Prosser. Foto: Ingrid Hoberg

 

Robert Prosser ist für seine Recherche zu „Gemma Habibi“ auf die griechische Insel Lesbos gefahren. „Ich wollte sehen, was an den Außengrenzen der Europäischen Union passiert“, sagt er. Und es sei ihm klar geworden, dass das Thema zu groß war, das er im Kopf hatte. So sei er auf die Idee gekommen, die Fluchtgeschichte in der Kampfsportszene anzusiedeln und zu erzählen, welche Auswirkungen es auf Österreich gab und gibt. Der Ich-Erzähler betreibe das Boxen mit einer großen Ernsthaftigkeit bis zur Obsession und finde erst durch eine Reise nach Ghana wieder heraus, so der Autor. Auf die Frage aus den Reihen der Zuhörer, welche Rolle die Fotografin Elena spielt, hält er sich bedeckt. Vielleicht ist es eine Liebesgeschichte… Auf jeden Fall hält sie viele Momente der Reise mit ihrer Kamera fest. Wer mehr wissen will, muss einfach dieses Buch lesen.

Ob ich das Buch mit dem Titel „Licht in der Distanz“, den der Autor priorisiert hatte, zur Hand genommen hätte? Diese Frage kann ich nun nicht mehr beantworten, denn ich habe Robert Prosser erlebt – wie er einen Text, seinen Text, darstellerisch vermittelt. Es bleibt nur noch ein Wunsch offen – eine Performance mit dem Jazz-Schlagzeuger, mit dem Prosser seit einiger Zeit zusammenarbeitet. Für die etwas reiferen Zuhörer sind da sofort Erinnerungen an die DDR-Veranstaltungsreihe „Lyrik – Jazz – Prosa“ präsent oder an die gemeinsamen Projekte von Günter Grass und Günter „Baby“ Sommer – der eine Literatur-Nobelpreisträger und der andere ein international hoch anerkannter Jazz-Schlagzeuger. Beide Meister ihres Fachs, trafen sich eine West- und eine Ost-Biografie im Künstlerischen und gingen darin auf besondere Weise auf.

In seinem nächsten Roman will sich Robert Prosser seiner engeren Heimat zuwenden. 1983 in Alpbach/Tirol geboren, weggegangen und dann wieder zurückgekehrt (mit einem weiteren Wohnsitz in Wien), beschäftigen ihn die Schattenseiten des Massentourismus.

Robert Prosser in der Grund- und Oberschule Schenkenland

Wie wird man Schriftsteller? Wie findet man seinen Beruf – einen Beruf, der einem Spaß macht und einen immer weiter antreibt? Diesen Fragen ging Robert Prosser am Vormittag in der Grund- und Oberschule Schenkenland in Groß Köris nach. Ein Teil der zwei Zehner-Klassen, knapp 30 Schülerinnen und Schüler, folgte ihm gebannt über eine Stunde. Denn auch sie stehen vor der Wahl: Was will ich? Was beschäftigt mich? Womit möchte ich meinen Lebensunterhalt verdienen? Ausgerechnet am Tag nach ihrer Mathematik-Prüfung haben sie sich also dafür entschieden, gemeinsam mit dem Gast aus Österreich diesen Fragen nachzugehen.

Performance des Romans "Gemma Habibi" von Robert Prosser in der Grund- und Oberschule Schenkenland Groß Köris. Foto: Dörthe Ziemer

Robert Prosser begeisterte sich als Jugendlicher zunächst für Hip-Hop, dann fürs Grafiti-Sprayen. Wie er dann über das Reisen, das Nachfragen und Recherchieren vor Ort zum Schreiben und von dort wiederum zum Performen kam, stellte er anschaulich und nachvollziehbar dar. Was Performen heißt, erfuhren die Schülerinnen und Schüler, als Robert Prosser aus seinem Roman las – was er streng genommen ja nicht tut, denn er hat seinen Roman im Kopf und trägt den Text frei vor. Der Rhythmus des Boxens, um das es im Roman „Gemma Habibi“ geht, wurde über die performte Sprache förmlich spürbar.

Eine Frage zielte genau auf dieses Suchen, Finden und Werden ab: Ob er, Robert Prosser, auch schon einmal mit einem Romanstoff gescheitert sei, wollte ein Zehntklässler wissen. Der Autor erzählte von einer Geschichte, die er zunächst nicht zu Ende verarbeiteten konnte – weil, wie er sagte, dieser Stoff nicht mit aktuellen Vor-Ort-Recherchen und Gesprächen mit Menschen erschlossen werden konnte. Aber die Geschichte liege in seinem Schreibtisch – vielleicht sei die Zeit einmal reif dafür. Ein Suchen, Finden – und manchmal Warten auf den richtigen Zeitpunkt.

Dörthe Ziemer

Weitere Infos

  • Auf der Website www.robertprosser.at sind nicht nur Termine weiterer Lesungen zu finden, es gibt auch Performance-Ausschnitte zu sehen.
  • Zwei weitere Lesungen stehen in der Lesereihe Halbe.Zukunft an: am 20. Mai mit Róža Damašcyna (Gedichte, sorbisch/deutsch) und am 16. Juni Lizzie Doron „Das Schweigen meiner Mutter“, Beginn jeweils um 19 Uhr, Kaiserbahnhof Halbe.
  • Weitere Informationen zur Lesereihe, die im Rahmen von „Und seitab liegt die Stadt“ (Projekt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien/Förderprogramm „Kultur in ländlichen Räumen“) und vom Literarischen Colloquium Berlin sowie vom Landkreis Dahme-Spreewald gefördert wird, gibt es hier.

 

Der Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Verein Halbe.Welt als Veranstalter.

Weitere Berichte zur Lesereihe:
>>> Michal Hvorecký: Troll

>>> Róža Domašcyna: Gedichte
>>> Lizzie Doron: „Was wäre wenn“

 

Weitere Informationen

Veröffentlichung

So, 01. Mai 2022

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