Zwischen Notstand und Management: Wie sich Kommunen ums Klima kümmern
Der Bund beschließt unter massiver Kritik das Klimaschutzgesetz, die Umwelthilfe klagt gegen Länder-Pläne. Und die Kommunen… rufen den Klimanotstand aus? Zwei Beispiele in Dahme-Spreewald zeigen, dass es vor Ort auf konkrete Ideen ankommt.
Von Dörthe Ziemer
Der Beschluss, den Klimanotstand auszurufen, hat keine rechtlich bindende Wirkung. Das ist Vor- und Nachteil zugleich. Der Vorteil: „Es ist ein symbolischer Akt“, sagt Eichwaldes Bürgermeister Jörg Jenoch, dessen Fraktion Wählerinitiative Eichwalde (WIE) und Bündnis ´90/Grüne den Beschlussvorschlag 2019 eingebracht hatten. Es war die erste Sitzung der neuen Gemeindevertretung nach der Kommunalwahl.
Jenoch selbst, damals seit zwei Jahren Bürgermeister in Eichwalde, lehnte den Beschluss ab. „Inwieweit muss ich den Klimaschutz berücksichtigen, wenn ich Büroklammern bestelle? Das ist doch in der Verwaltung praktisch kaum umsetzbar“, erläutert er damals seine Haltung. Der Nachteil also ist, dass der symbolische Akt wirkungslos bleiben kann, wenn unklar ist, wie er in der Verwaltung umgesetzt werden soll. Entsprechend wurde auf Antrag von Bündnis ´90/Grüne in Eichwalde der folgende Satz an den Beschluss angefügt: „Der Begriff ‚Klimanotstand‘ ist symbolisch zu verstehen und soll keine juristische Grundlage für die Ableitung von Notstandsmaßnahmen sein.“
Klimaschutz-Maßnahmen mit höchster Priorität
Der Beschluss zeigt also bestenfalls auf, „dass das beschließende Gremium erkannt hat: Unsere bisher ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des rasch voranschreitenden Klimawandels und der daraus resultierenden Risiken reichen nicht aus.“ So formuliert es das Umweltbundesamt auf seiner Seite zum Klimanotstand. Gut 70 Kommunen in Deutschland haben diesen bisher ausgerufen. Durch ihre Beschlüsse erkennen die Gremien „den dringenden politischen und praktischen Handlungsbedarf an, der aus zunehmenden Risiken durch den Klimawandel resultiert. Durch die Verwendung des Begriffs ‚Notstand‘ wird diesen Maßnahmen höchste, nicht aufschiebbare Priorität zugeschrieben.“
Der Begriff „Notstand“ war es, der Lübbener Stadtverordnete davon abhielt, den Klimanotstand per Beschluss auszurufen. Die Ausrufung eines ‚Notstandes‘ würde „ein falsches Signal aussenden“, hieß es in einer Antwort auf eine Petition des BUND, Ortsgruppe Lübben/Spreewald, und des NABU Kreisverbandes Spreewald e.V. Sie hatten die Ausrufung des Klimanotstandes durch die Stadtverordneten im April 2020 in einer Petition gefordert. Der Fokus solle, hieß es in der Antwort, „auf einer positiven Kommunikation des Erreichten liegen, um weitere Akteure zu motivieren, sich einzubringen“. Brandenburg sei kein Notstandsland, hieß es auch im Landtag Brandenburg, als sich dieser ebenfalls mehrheitlich gegen die Ausrufung des Klimanotstandes positionierte.
Pilotkommune Lübben - ohne ausgerufenen Klimanotstand
Das Erreichte – das summierte sich in Lübben zu diesem Zeitpunkt bereits aus mehreren Jahren. Denn Lübben war 2011 Pilotkommune in Sachen Klimaschutz, 2012 wurde die Aufstellung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes beschlossen, das seit 2014 als Arbeitsgrundlage der Verwaltung dient. 2016 wurde dank einer Förderung ein Klimaschutzmanager eingestellt, der im Rahmen eines Anschlussvorhabens bis 2021 weiter gefördert wurde. Daraufhin folgte die Entfristung, die Stelle des Klimaschutzmanagers gehört inzwischen fest zum Stellenplan. Eichwalde hat nun ebenfalls einen Klimaschutzmanager - mit Nadine Lindemann ganz konkret eine Frau. Sie arbeitet – infolge des Notstandsbeschlusses – seit November 2020 in der Verwaltung.
„Der Beschluss hat uns schneller vorangetrieben.“
Jörg Jenoch, Bürgermeister von Eichwalde
Klimanotstand also in Eichwalde, in Lübben nicht; hier langjähriges Klimaschutzmanagement, in Eichwalde ist es ganz neu am Start. Macht das einen Unterschied? „Der Beschluss hat uns schneller vorangetrieben“, ist sich Jörg Jenoch sicher. In Lübben, so offenbarte es die Petition, war das Klimaschutzmanagement nach fünf Jahren womöglich so weit in die Verwaltung integriert, dass es kaum einer gesonderten Erwähnung bedurfte. Immerhin war den Petenten nicht klar, welche Maßnahmen zum Klimaschutz überhaupt umgesetzt waren und ob das aktuelle Klimaschutzkonzept ausreichend sei. Gespräche zwischen dem Klimaschutzmanager Matthias Städter und den Petenten sowie eine Überarbeitung der Inhalte zum Klimaschutz auf der städtischen Homepage brachten etwas Abhilfe.
Es braucht fortlaufend konkrete Ideen
Schließlich machte der Lübbener Hauptausschuss nach einer intensiven Diskussion deutlich, dass die Hinweise der Petenten durchaus berechtigt seien und das Klimaschutzkonzept evaluiert und fortgeschrieben werden solle. Den Notstand zu beschließen, empfahl der Hauptausschuss dennoch nicht – die Stadtverordneten folgten dieser Empfehlung im August 2020. In beiden Kommunen zeigt sich also: Es müssen fortlaufend konkrete Ideen auf den Tisch, wie Klimaschutz in der Kommune umgesetzt werden kann, egal, ob der Klimanotstand ausgerufen ist oder nicht.
Eichwalde ist zuletzt mit einem sehr konkreten Projekt gestartet: Es sollen Lastenfahrräder zum Verleih angeschafft werden, um weniger Autoverkehr auf den Straßen zu haben. „Durch die Verleihmöglichkeit wollen wir dieses Transportmittel bekannter machen“, sagt Bürgermeister Jörg Jenoch. Und auch der Gedanke des Teilens, also dass nicht jeder ein eigenes Fahrzeug besitzen müsse, werde dabei transportiert.
Überkommunale Radwege sollen entstehen, ein Radverkehrskonzept ist geplant, und am Bahnhof wird es künftig mehr Fahrradstellplätze geben. Und auch am Stadtradeln, bei dem das Fahrradfahren als nachhaltige, gesunde und Spaß bringende Alternative im täglichen Individualverkehr erlebbar wird, wolle man teilnehmen. Werden Fahrzeuge für die Eichwalder Verwaltung neu angeschafft, so sollen das E-Autos sein, samt Schnelladesäule. Bei größeren Bauvorhaben sollen nachhaltige und klimaneutrale Maßnahmen mitgeplant werden. So könnte die Grundschule eine Klimaschutzhülle bekommen, kündigt Jörg Jenoch an. Überhaupt soll es eine enge Zusammenarbeit mit Schulen geben.
Konkrete Handlungsanleitungen für Rathaus-Mitarbeiter
Jenseits konkreter Projekte gehe es darum, dass der Klimaschutz ins normale Verwaltungshandeln übergeht. Dabei wird Klimaschutzmanagerin Nadine Lindemann eine wichtige Rolle spielen – als Beraterin der Verwaltungsmitarbeiter: Was muss etwa bei Ausschreibungen bedacht werden? So müsse in einer Bewertungsmatrix, in der Teilnehmer einer Ausschreibung mit ihren Angeboten verzeichnet sind, dem finanziellen Faktor ein Klimafaktor gegenübergestellt werden. Ausschreibungen müssten um das Merkmal CO2-Neutralität erweitert werden.
Bei Beschlussvorlagen, ergänzt der Bürgermeister, werde künftig als Kriterium eingefügt, welche Komponente aus dem Eichwalder Leitbild von der Vorlage betroffen ist. „Da wird das Klima als eine Komponente hinzugefügt“, kündigt er an. Gleiches gelte für die Haushaltsplanung: Hier gehe es nicht mehr nur um wirtschaftliche Kriterien, sondern auch um Merkmale der Nachhaltigkeit. „Das wird auch mehr Geld kosten, wenn wir beispielsweise bei Bestellungen auf nachhaltige Produktion und nicht auf Massenware setzen.“ – Da sind sie wieder, die Büroklammern, die zur Zeit der Ausrufung des Klimanotstandes dem Bürgermeister Sorgen bereitet hatten.
Das alles sei Pionierarbeit und erfordere am Anfang mehr Zeit, sagt Jörg Jenoch. „Das kann man nirgendwo abschreiben, darum muss man sich eigene Gedanken machen“, erklärt er. Ziel ist es dabei, so Nadine Lindemann, dass es eine konkrete Handlungsanleitung für Mitarbeiter und eine neue Routine im Verwaltungshandeln gebe. Über allem wird das integrierte Klimaschutzkonzept stehen. Es soll innerhalb der kommenden 18 Monate entwickelt werden. Dazu gibt es eine Potenzial- und Szenarienanalyse: Wo liegen in Eichwalde Potenziale, wo kann die Kommune besser werden? Wo machen beispielsweise Photovoltaikanlagen Sinn, wo nicht?
Lübben blickt auf zehn Jahre Klimaschutzkonzept
In Lübben, so scheint es, herrscht weniger der Pioniergeist von Eichwalde vor, als vielmehr das Bilanzieren. Welche Maßnahme bringt wieviel Einsparungen ein? Wo steht der Klimaschutz in der Stadt nach zehn Jahren? Welche Maßnahmen braucht es in der Fortschreibung? Die Klimaschutz-Seite der städtischen Homepage gibt darüber Auskunft: Dort sind alle bisherigen und laufenden Projekte aufgelistet – samt Emissionseinsparungen und finanziellen Aufwendungen, soweit möglich oder vorhanden.
So bezieht die Stadt mit einer jährlichen Menge von ca. drei Millionen Kilowattstunden seit 2018 ausschließlich Ökostrom. Dies reduziert die CO2-Emissionen jährlich um ca. 1.500 Tonnen. E-Ladesäulen, drei E-Autos zur Papierkorbentleerung sowie ein E-Auto für Verwaltungsmitarbeiter sind im Einsatz. Im Rahmen von Quartiersgestaltungen werden auch Klimafolgenanpassungen bedacht, also z.B. Fassadenbegrünungen angepflanzt.
Vieles wurde in Lübben in den vergangenen Jahren intensiv politisch diskutiert. So wurden beim Ersatzneubau für die Kita „Waldhaus“ verschiedene Ausführungsvarianten, unter anderem auch als Passivhaus, untersucht und eine Lebenszykluskosten-Betrachtung aufgestellt. Wegen der Mehrkosten von ca. 200.000 Euro hat sich die Stadtverordnetenversammlung nicht auf die Ausführung als Passivhaus geeinigt. Die „beschlossene Ausführungsvariante setzt dennoch energetische Maßstäbe für die Stadt Lübben“, heißt es auf der Internetseite.
Öffentlichkeitswirksame Projekte gehören dazu
Neben solchen konkreten Maßnahmen werden auch öffentlichkeitswirksame Projekte wie das Stadtradeln oder Stadtspaziergänge zu nachhaltigen Projekten sowie Jugendbildungsprojekte wie das Energiesparmodell fifty/fifty angeboten. Außerdem gibt es auf der Internetseite neben der CO2-Bilanz der Stadt auch einen persönlichen CO2-Rechner für jedermann und Energiespartipps für den privaten Haushalt auf der Seite. Denn neben der Funktion als „Schnittstelle von Politik, Verwaltung“ versteht sich Klimaschutzmanager Matthias Städter eben auch als Ansprechpartner für Bürger und Bürgerinnen rund um den Klimaschutz.
„Effektiver Klimaschutz gelingt am besten, wenn alle Akteur*innen vor Ort – wie Bürger*innen, die Verwaltung und Stadtwerke – zusammenarbeiten.“
Nationale Klimaschutzinitiative
Das breite Themenfeld und Aufgabenspektrum von Nadine Lindemann und Matthias Städter zeigt, wie komplex Klimaschutz in einer Kommune ist. „Effektiver Klimaschutz gelingt am besten, wenn alle Akteur*innen vor Ort – wie Bürger*innen, die Verwaltung und Stadtwerke – zusammenarbeiten“, heißt es auf der Homepage der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI). „Genau hier setzen Klimaschutzmanager*innen an: Sie vernetzen alle relevanten Akteur*innen, entwickeln konkrete Maßnahmen und Aktivitäten im Sinne eines umfassenden Klimaschutzkonzepts und steuern die Umsetzung.“ Die Personalkosten dafür können sogar mit 75 bis zu 100 Prozent gefördert werden, informiert die NKI weiter. Insgesamt seien bis heute mehr als 1.000 solcher Stellen in Deutschland geschaffen worden.
Klimaschutzmanager fehlen
Das nutzt jedoch nicht viel, wenn die Fachkräfte fehlen. In Dahme-Spreewald scheint das ein Problem zu sein, berichtete die Märkische Allgemeine vor anderthalb Jahren. Zuletzt suchte der Landkreis Dahme-Spreewald einen Klimaschutzmanager. Derzeit ist die Stelle in Lübben ausgeschrieben. Gern gesehen sind Naturwissenschaftler, die Stelleninhaber müssen aber eigentlich Allrounder sein: „Klimaschutzmanager*innen sorgen dafür, Modernisierungen auf regionaler Ebene voranzutreiben. Sie erstellen Konzepte, koordinieren kommunale Aktivitäten und Projekte zur Energie- und Emissionseinsparung und informieren die Öffentlichkeit über die Maßnahmen“, wird das Aufgabenfeld auf der Seite des Service- und Kompetenzzentrums Kommunaler Klimaschutz beschrieben.
Ob die Klimaschutzmanager damit „Weltverbesserer werden“, wie es dort heißt, darüber kann man ebenso streiten wie über die Notwendigkeit, den Klimanotstand auszurufen.
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