Neue Pfade fürs Baden
Vergessen Sie die zehn schönsten Seen in Brandenburg – das seenreichste Bundesland hat viel mehr zu bieten. Je mehr sich die Gäste dort verteilen, umso erträglicher wird der Badetourismus. An den Hotspots wird er zur Qual, wie sich im Dahme-Seenland zeigt.
Von Dörthe Ziemer
Mit sandbestreuten Bierflaschen in der Hand, den Müllbeutel an den Kinderwagen gehängt, ziehen sie zurück zum Auto. Die parkenden Autos schmälern die Straße so, dass nur noch ein Fahrzeug hindurchpasst, Radler quetschen sich entlang, Kinder springen dazwischen herum, die Eltern sind mit Luftmatratze und Kühltaschen beladen. – Ein Badetag am Tonsee Klein Köris im Naturpark Dahme-Heideseen geht zu Ende.
Mehr als 500 zusätzliche Autos zählt das Ordnungsamt des Amtes Schenkenländchen an ganz heißen Tagen. Rechnet man im Schnitt drei Badegäste pro Auto, haben rund 1.500 Menschen an einem Tag den etwa 9 Hektar großen See besucht – neben allen, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.
Eng wird es in den Straßen, ...
... wenn hunderte Gäste mit dem Auto anreisen.
Später am Abend kommen die Einheimischen, Camper und Ferienwohnungsgäste, die hier eigentlich die Ruhe der Natur suchen und nur mal eben ins Wasser springen oder schwimmen wollen. Sie finden vergessene oder verlorene Wasserbälle und Badelatschen am Strand, ausgelesene Zeitungen auf Bänken, Glasflaschen im trockenen Kiefernwald und Windeln im Papierkorb. Bier-, Sektflaschen und viele Müllbeutel wurden nicht etwa mit nach Hause genommen, sondern in den überquellenden Müllbehältern an den Bushaltestellen entsorgt, dort, wo am nächsten Morgen die Schulkinder auf den Bus warten.
Brandenburg hat 400 ausgewiesene Badestellen
Diese Szenen wiederholen sich an jedem heißen Wochenende, aber ganz besonders dann, wenn der See mal wieder in einem der „Die zehn schönsten Seen in Brandenburg“-Ranking aufgetaucht ist. Ein solches überhaupt aufzustellen, ist in einem seenreichen Land wie Brandenburg einigermaßen absurd. Hier gibt es über 3000 natürlich entstandene Seen. Knapp 400 Naturbadestellen sowie Frei- und Strandbäder listet die Seite reiseland-brandenburg.de auf. Im Tourismusgebiet Dahme-Seenland sind es über 30 Badestellen. Einmal aufgestellt, reproduzieren sich solche Rankings scheinbar auch in zahlreichen Medien und Blogs – es finden sich immer dieselben Seen wieder. Die Sozialen Meiden tun ihr Übriges.
„Es ist eines unserer größten Unglücke, dass der Tonsee als Geheimtipp gilt“, sagt Amtsdirektor Oliver Theel. Denn die Bade- und Tagesgäste verursachten vor allem eines: Ärger und Arbeit. Müll ist zu entsorgen, Fahrzeughalter sind via Knöllchen daran zu erinnern, dass Rettungsfahrzeuge jederzeit durch- und Anwohner von ihren Grundstücken kommen müssen. Dabei würden die Einnahmen aus den Knöllchen mitnichten die Aufwendungen für das Personal wettmachen, sagt Oliver Theel. Die Forstverwaltung ist zu informieren, wenn Autos im Wald parken, wo erhitzte Motoren während besonders trockener Phasen zu Feuerteufeln werden können. Die Naturschutzbehörden müssen verhindern, dass Schilfgürtel niedergetreten und seltene Tierarten gestört werden.
Eher die kaum wahrnehmbaren Gäste kurbeln den Tourismus an
Dabei sind es nicht die Bade- und Tagesgäste, die den Tourismus ankurbeln, sondern jene Touristen, die eben kaum wahrnehmbar sind: die Paddler, Radfahrer, Wanderer und Camper, die in der Regel ihren Müll mitnehmen, Trubel meiden, Ruhe suchen und „unberührte Natur“ beobachten wollen. Damit wirbt zumindest das Reiseland Brandenburg. Doch wie sich der Badetourismus an Seen wie dem Tonsee, der als ehemalige Grube weder Zu- noch Abfluss hat, auswirkt, ist fraglich. „Wir haben Sorge, dass der See mal kippen könnte“, sagt der Amtsdirektor. „Dann bekommen wir das nie wieder hin.“ Ein WC ist vor Ort zwar durch den privaten Campingplatz vorhanden, aber das ist für solche Menschenmassen gar nicht ausgelegt.
Schon wachsen Ansprüche „‘Ihr müsst da mal was machen‘, bekommen wir oft zu hören“, erzählt Oliver Theel. „Doch als kleine Amtsverwaltung haben wir zuerst für die Wasserversorgung unserer Einwohner, für Radwege, Schulen und Kitas zu sorgen.“ Kapazitäten für Tourismus seien da kaum vorhanden, auch wenn es für verschiedene Gewerbetreibende natürlich etwas bringe, wenn Touristen in der Region sind. Aber dies seien dann eben jene, die länger verweilen, die Restaurants besuchen, hier einkaufen und mehr – und nicht die Badetouristen, von denen viele fordernd und anspruchsvoll unterwegs seien. Mit einem Parkplatz am Tonsee mit etwa 40 Stellflächen, befestigten Anrainer-Straßen statt Sandpisten und Pollern vor den Waldgebieten hat das Amt versucht zu reagieren – aber angesichts der vielen Badegäste erscheint das wie ein Tropfen auf den heißen Sommerstein.
Besucherlenkung zu weniger überlaufenen Zielen
Die Sorgen des Amtsdirektors, seiner Mitarbeiter und vieler Anwohner teilen auch die Verwaltung des Naturparks Dahme-Heideseen und der Tourismusverband Dahme-Seenland. Letzterer hat die besonders hoch frequentierten Seen in Abstimmung mit den Kommunen „aus der aktiven Kommunikation“ herausgenommen, erklärt Marketing-Leiter Norman Siehl. Als „Point of Interest“ (interessanter Punkt) blieben sie in der POI-Datenbank natürlich erhalten. „Wenn wir etwas bewerben, dann achten wir auf eine sinnvolle Besucherlenkung zu Zielen, die nicht überlaufen sind“, berichtet er. So wird beispielsweise unter dem Titel „Radeln und Baden“ eine Fahrradtour im südöstlichen Berliner Umland beworben, die gleich zu mehreren Badestellen führt – naturverträglicher, autofreier Individualtourismus also, wenn sich denn der Gast an allgemeine Spielregeln hält.
Vergessene Badelatschen,
...Bierflaschen, Müll und
... Trinkflaschen am See.
Daran hapert es zunehmend, hat Norman Siehl festgestellt: „Wie man auf die Idee kommen kann, seinen Müll einfach liegen zu lassen, verstehe ich nicht“, sagt er verärgert. „Viele Gäste haben nicht das Bewusstsein dafür, dass sie hier in einem Naturpark sind.“ Dies sei jedoch ein gesellschaftliches Problem, kein rein touristisches. Die Corona-Pandemie, durch die die Menschen vermehrt in der eigenen Region Erholung suchen, habe das Problem verschärft, sagt Melanie Wagner, bei der Naturparkverwaltung zuständig für Nachhaltige Gebietsentwicklung.
Campen im Naturschutzgebiet, Bootshalt im Schilf
„Wir spüren einen erhöhten Besucherdruck durch Tagesgäste, aber auch durch Camper und Wassertouristen“, sagt sie. Camper stellten sich irgendwo mitten in die Naturschutzgebiete und interessierten sich nicht für Hinweisschilder. Der Bootsverkehr auf der Dahme-Wasserstraße habe enorm zugenommen und Menschen, die sich in der Natur nicht auskennen, stellen sich mitten ins Schilf, wo Tiere gestört werden. Hinzu komme, dass die Infrastruktur mit der Entwicklung nicht immer mithält. „Es gibt zum Beispiel zu wenige Entsorgungsstationen für Fäkalien von Hausbooten“, so Melanie Wagner. Da steige die Gefahr, dass das dann im See landet. Ebenso groß sei die Gefahr, dass die Wasserqualität von Seen, die über die Saison extrem von Badenden genutzt werden, leidet.
Neben notwendigen Kontrollen über das Einhalten von Vorschriften, die in allen Verwaltungen knappen Personalressourcen gegenüberstehen, müsse der nachhaltige Tourismus gefördert werden, fordert Melanie Wagner. „Wir müssen Gäste noch mehr dafür sensibilisieren, dass sie sich im Naturpark entsprechend verhalten.“ Beschilderungen müssten ausgeweitet werden. Unterstützung kommt dabei von der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH (TMB) und dem Naturschutzfonds, die die Marketing-Kampagne #draussenmitrücksicht über richtiges Verhalten in der Natur für die Sozialen Netzwerke gestartet hat. „Die hat einen netten Rahmen und kommt nicht mit erhobenem Zeigefinger daher“, lobt Norman Siehl.
Es ist nicht schwierig, weniger ausgetretene Pfade zu finden. Die TMB hat mit ihrem Tourismuspreis-gekrönten Content-Netzwerk große Datenbanken aufgebaut, die zahlreiche Reiseziele und Touren enthält, darunter eben die vielen Naturbadestellen. Die einzelnen Tourismusgebiete bauen daraus, je nach Saison und Marketingschwerpunkt, Internetseiten zusammen, die Lust aufs Entdecken machen und für eine breite Streuung interessierter Besucher sorgen könnten – wären da nicht Rankings und zahlreiche bildreiche Empfehlungen bei Facebook, Instagram und Co. Dagegen könne man dann nicht viel machen, so Marketing-Experte Norman Siehl. Und auch Melanie Wagner sagt: „Wenn auf einem privaten Instagram-Kanal ein toller Waldsee empfohlen wird, fahren die Leute halt hin.“
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