Huanying heißt: willkommen
Elf chinesische Azubis lernen seit diesem Ausbildungsjahr in Dahme-Spreewald. Sie sind nicht die einzigen ausländischen Lehrlinge. Sie kommen, weil ihnen die Arbeitsbedingungen hier besser gefallen. Und sie sind willkommen, weil es nicht genügend einheimische Azubis gibt.
Von Dörthe Ziemer
„Das Leben in China ist sehr schnell“, sagt Janghao Huang, „deshalb möchte ich in Deutschland leben. Hier ist mehr Ruhe, es geht langsamer zu.“ Acht Stunden regulär arbeiten statt zehn oder mehr, das ist für den neuen Azubi im Intercity Hotel Berlin Airport in Schönefeld einer der Gründe, warum er seine Lehre in Deutschland begonnen hat. Hao Cheng Ma, Azubi beim Luftfahrt-Experten AneCom Aero Test in Wildau, erzählt, dass es in China zwar leicht sei, irgendeinen Job zu finden, aber schwierig, eine gute Arbeit zu bekommen. Er möchte Industriemechatroniker werden, und in diesem Bereich gebe es viele Arbeitskräfte in China. Marvin Schmitz vom Personaldienstleister German Education Management GmbH (GEM), der die elf jungen Männer nach Deutschland geholt hat, bestätigt das: „Landflucht ist in China ein großes Thema“, sagt er. „Deshalb kommen in den Städten 300 bis 400 Bewerber auf eine Stelle. Der Druck ist groß, das Arbeitspensum hoch.“
„In den Städten kommen 300 bis 400 Bewerber auf eine Stelle. Der Druck ist groß, das Arbeitspensum hoch.“
Marvin Schmitz, Projektleiter bei der GEM
Im prosperierenden Berliner Umland ebenso wie in den berlinferneren Regionen haben Unternehmen wiederum ihre Not, Ausbildungsplätze zu besetzen. Auf 100 betriebliche Berufsausbildungsstellen kamen laut Arbeitsagentur im vergangenen Ausbildungsjahr in Dahme-Spreewald 77 Bewerberinnen und Bewerber. 530 Suchende gab es vor einem Jahr insgesamt – bei 690 Ausbildungsstellen, wobei die Zahl der Stellen im Zweijahreszeitraum um 200 gesunken ist. Bereits im vergangenen Lehrjahr lernten 51 Azubis aus dem Ausland in Dahme-Spreewald, davon 26 Geflüchtete. Im gesamten Kammerbezirk Cottbus der Industrie- und Handelskammer (IHK), der vier Landkreise und die Stadt Cottbus umfasst, stieg die Zahl der ausländischen Azubis in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich an: Waren es im Jahr 2022 noch 98, so wurden 2023 schon 149 junge Menschen aus dem Ausland begrüßt. In diesem Jahr sind es schließlich 340 Lehrlinge, wie Nadine Theel von der IHK mitteilt.
Hao Cheng Ma (2.v.r.), Azubi beim Luftfahrt-Experten AneCom Aero Test in Wildau. Foto: Dörthe Ziemer
Nadine Theel ist bei der IHK für die Fachkräftesicherung zuständig. Die Gewinnung von Azubis im Ausland zu unterstützen, gehört zu ihren Aufgaben. Die IHK selbst habe ein Programm mit Vietnam angestoßen, berichtet sie. Denn dort sei die demografische Situation genau umgekehrt zu der in Deutschland: Während hier schlicht die jungen Menschen fehlten, die eine Ausbildung beginnen könnten, kämen dort mehrere Jugendliche auf eine Ausbildungsstelle. Auch für junge Vietnamesen seien die Arbeitsbedingungen in Deutschland attraktiv – u.a. die 30 Tage Urlaub im Jahr, in denen sie zu ihrer Familie fliegen könnten. Zugleich seien die Erfahrungen hiesiger Ausbildungsbetriebe mit Vietnamesen sehr gut, sagt sie: „Das betrifft vor allem die Arbeitskultur. Vietnamesische Azubis kommen in der Gastronomie super an.“
Wer welche Azubis sucht und was die jungen Menschen wollen, darum kümmert sich in China unter anderem die GEM. „Wir werben in China auf verschiedenen Wegen“, sagt Projektleiter Marvin Schmitz, der selbst Chinesisch spricht. „Die chinesische Jugend findet uns vor allem auf TikTok.“ Interessierte würden in Sprachkurse vermittelt – online oder in Präsenz. Dabei reiche es aus, wenn die jungen Menschen bis zum Level B1 kämen. „B2 oder C1 sind eine große Hürde“, so seine Erfahrung, „denn Deutsch ist innerhalb der europäischen Sprachen besonders schwer.“ Deshalb versuche die Agentur, die Kandidaten möglichst früh nach Deutschland zu holen. Dann folge das Matching: „Der Kandidat wird passend zum Unternehmen ausgesucht: Stimmt das Berufsbild? Wie ist der Charakter?“ Die GEM-Mitarbeiter würden alle Kandidaten persönlich oder per Video kennen und begleiten sie auch nach der Ankunft in Deutschland weiter, helfen bei der Wohnungssuche, bei der Beschaffung von Dokumenten und mehr. „Auch Muttersprachler sind bei uns für die Azubis da, falls es mal etwas Emotionaleres wie Sorgen oder Heimweh zu besprechen gibt“ erzählt Marvin Schmitz.
„Es gibt hohe Hürden, wenn man aus eigener Kraft Azubis akquirieren möchte.“
Arthur Höckendorf, Ausbilder bei Edeka Minden-Hannover in Mittenwalde
Für die hiesigen Unternehmen ist der Service kostenlos. Bezahlt wird er durch die Azubis und ihre Familien, berichtet der GEM-Projektleiter. „Manche haben etwas angespart, wenn sie schon eine Ausbildung in China begonnen haben“, sagt er, bei anderen würden die Familien einspringen. Die Unternehmen in Dahme-Spreewald, die sich bei einem Pressetermin am Dienstag vorstellten, sind ausnahmslos begeistert. Die neuen Azubis passten gut in die Teams, die Zusammenarbeit mit der GEM sei reibungslos. „Es gibt hohe Hürden, wenn man aus eigener Kraft Azubis akquirieren möchte“, berichtet Arthur Höckendorf, Ausbilder bei Edeka Minden-Hannover in Mittenwalde. Auch ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren erfordere viel Bürokratie. „Dieser Aufwand liegt nun bei der GEM“, begründet er, warum sich das Unternehmen für die Zusammenarbeit interessiert habe.
Arthur Höckendorf (M.), Ausbildungsleiter bei Edeka Minden-Hannover in Mittenwalde. Foto: Dörthe Ziemer
Die insgesamt 21 Azubis am Edeka-Standort in Mittenwalde gehörten vier Nationen an, berichtet Arthur Höckendorf. Die chinesischen Lehrlinge seien mit einem Willkommenspaket mit deutschen Spezialitäten empfangen worden. Einheimische Azubis hätten ihnen zum Start in ihrem Wohnort alle wichtigen Anlaufpunkte gezeigt: Bahnhof, Lebensmittelläden, Fahrradladen. Nun tauchten alle neuen Azubis in ihren Abteilungen in die Arbeit ein. Und nur manchmal gebe es Herausforderungen spezieller Art: „Wir haben ein automatisches Sprachsystem, da mussten die Azubis die Zahl „Null“ mehrfach einsprechen, ehe es geklappt hat“, erzählt der Ausbildungsleiter schmunzelnd. Zuvor seien alle Mitarbeiter am Standort für die neue Situation sensibilisiert worden. „Alle ersten Erlebnisse waren durchweg positiv“, sagt er.
„Diversität ist der Schlüssel zu Innovation. Beides benötigen wir, damit der Landkreis Dahme-Spreewald ein starker Wirtschaftsstandort bleibt.“
Heike Zettwitz, Wirtschaftsdezernentin des Landkreises
Das Projekt in Dahme-Spreewald, das in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WfG) entstanden ist, sei nicht das einzige der GEM, berichtet Marvin Schmitz. „Aber es hat einen besonderen Stellenwert: Dass wir elf junge Männer auf einmal herholen, ist eine Ausnahme“, sagt er. „Das zeigt, wie offen der Landkreis und die Region für Internationalität sind.“ Landrat Sven Herzberger sieht daher das gemeinsame Projekt von GEM und der kreiseigenen WfG auch „kulturell als großartiges Projekt: Da entstehen weitere Netzwerke, ein Austausch jenseits des eigenen Kosmos‘.“ Diversität sei der Schlüssel zu Innovation, ergänzt die zuständige Dezernentin beim Landkreis Heike Zettwitz. „Beides benötigen wir, damit der Landkreis Dahme-Spreewald ein starker Wirtschaftsstandort bleibt.“
WfG-Geschäftsführerin Marion Schirmer und Marvin Schmitz von der GEM haben das Projekt angeschoben. Foto: Dörthe Ziemer
Dass vor allem die großen internationalen Unternehmen der Region Azubis aus aller Welt anlocken, ist die Erfahrung von Nadine Theel von der IHK. „Tropical Islands zieht viele Interessierte an, aber auch die Deutsche Bahn“, erzählt sie. Die größte Gruppe ausländische Azubis im Kammerbezirk seien Vietnamesen, gefolgt von Polen und Ukrainern. „Die Lausitz macht im Ausland ordentlich Werbung“, berichtet die Fachfrau. Kampagnen für Strukturwandel machten die Region interessant. Außerdem gebe es Unternehmer, die selbst im Ausland auf Fachkräftesuche gingen – manchmal sogar ganz nebenbei, im Urlaub. Häufig seien auch Personalvermittler wie GEM und die Außenhandelskammern eingeschaltet.
„Es ist schön, wenn unsere Gäste Kontakt mit anderen Kulturen und Sprachen haben.“
Nora Runneck, KieZ Frauensee
Die meisten am aktuellen Projekt von WfG und GEM beteiligten Unternehmen sind auf die ein oder andere Art international aufgestellt. Das Intercity Hotel gehöre zu einer chinesischen Kette, erzählt Hoteldirektor Mathias Rusch. Natürlich könne man auch innerhalb des Konzerns Azubis aus China akquirieren, „aber wir wollen ja, dass sie hierbleiben“, sagt er. Die Kindererholungszentren (KieZ) Frauensee und Hölzerner See hätten internationales Publikum und würden auch ihre Teams zunehmend international aufstellen, so die beiden Vertreter Nora Runneck und David Hoffmeister. „Es ist schön, wenn unsere Gäste Kontakt mit anderen Kulturen und Sprachen haben“, sagt Nora Runneck vom Frauensee. „Wir hoffen, dass es so weitergeht.“ Die AneCom Aero Test schließlich ist sowieso auf dem internationalen Markt unterwegs, sagt Teamleiter Jens Lindner. Er habe schon zwei Jahre keine Azubis mehr gehabt, nun freue er sich über den jungen Mann aus China, der für sein Auftreten und sein Fachwissen in der Berufsschule gelobt worden sei.
Ganz so euphorisch ist man bei der Handwerkskammer Cottbus (HWK) nicht. „Unsere Handwerksbetriebe setzen vehement auf die Ausbildung ihrer eigenen Fachkräfte“, sagt Veronika Martin vom Büro für Öffentlichkeitsarbeit der HWK. So habe sich die Gesamtzahl der Ausbildungsverträge von 673 im Jahr 2023 auf 709 im Jahr 2024 im gesamten Kammerbezirk erhöht. „Damit hält die positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt im Handwerk an“, schätzt sie ein. Von den 1.910 Jugendlichen, die im Moment einen Handwerksberuf in Handwerksunternehmen erlernen, sind 105 aus dem Ausland – also 5,5 Prozent. Dieser Anteil sei in den vergangenen fünf Jahren in etwa gleichgeblieben, so Veronika Martin.
„Unsere Handwerksbetriebe setzen vehement auf die Ausbildung ihrer eigenen Fachkräfte.“
Veronika Martin, Handwerkskammer Cottbus
Um den fachspezifischen Anforderungen der Handwerksberufe gerecht zu werden, sei beim Sprachniveau das Level B2 das Minimum, was Bewerber mitbringen müssten. Das gelingt nicht allen. Gleichwohl gebe es Beispiele sehr erfolgreicher Azubis mit nichtdeutscher Muttersprache, berichten Veronika Martin von der HWK und Nadine Theel von der IHK übereinstimmend. Veronika Martin nennt als ein Beispiel die Friseurin Samineh Mohammadtaheri, die nach der Ankunft aus dem Iran erst eine Ausbildung absolviert, dann den Meisterbrief gemacht und schließlich einen Salon in Forst übernommen habe. „Bei den Besten-Ehrungen sind regelmäßig Menschen mit Migrationshintergrund dabei“, sagt Nadine Theel.
Insgesamt elf Auszubildende aus China haben bei sechs Unternehmen
im Landkreis Dahme-Spreewald ihre Ausbildung begonnen. Foto WfG/Schiller
Dass bei einem hohen bürokratischen Aufwand die ausländischen Azubis vielleicht nicht lange blieben – diese Sorge von Arbeitgebern könne Nadine Theel von der IHK auf jeden Fall nehmen: „Das ist bei deutschen Schulabgängern ein größeres Problem, sie haben eine hohe Wechselmotivation“, so ihre Erfahrung. „Unsere Azubis wissen, dass sie sich die Plätze aussuchen können. Die Visa der ausländischen Azubis sind an die Ausbildungsverträge gebunden.“ Die IHK vermittele zwar nicht selbst die Azubis aus dem Ausland, unterstütze aber ihre Mitgliedsbetriebe vorab durch Info-Veranstaltungen und die so genannte ausländerrechtliche Erstüberprüfung und anschließend beim Ankommen der künftigen Fachkräfte. „Wir bieten Interkulturelle Trainings an und arbeiten eng mit den Welcome-Centern in den Kreisen zusammen“, erzählt Nadine Theel. „Es kommt ja auch auf die soziale Integration an und Fragen wie: Wo kann ich Wäsche waschen, wie geht das mit der Mülltrennung und wo kann ich in der Freizeit hin?“
„Es kommt ja auch auf die soziale Integration an und Fragen wie: Wo kann ich Wäsche waschen, wie geht das mit der Mülltrennung und wo kann ich in der Freizeit hin?“
Nadine Theel, Industrie- und Handelskammer Cottbus
In Dahme-Spreewald gehe es zunächst einmal darum, dass die Azubis gut ankommen, sagt die für Wirtschaft zuständige Dezernentin Heike Zettwitz. Die Azubis müssten sich nun auf Sprache und Ausbildung konzentrieren. Für die weitere Vernetzung der neuen Azubis untereinander bot Hoteldirektor Mathias Rusch regelmäßige Treffen in seinem Haus an – eine Idee, die bei dem Vorstellungstermin gut ankam. „Es ist gut, dass die WfG das Projekt angeschoben hat und Kontakte herstellt. Das ist völliges Neuland für uns“, so Heike Zettwitz. Und auch die Verwaltung lerne dazu, ergänzt Landrat Sven Herzberger: „Wie gehen wir als Ämter damit um?“ Die nun anstehenden Erfahrungen würden auch das neu gebildete Amt für Migration und Integration „näher an die Realität“ bringen.
Weitere Informationen
Veröffentlichung
Bild zur Meldung
Weitere Meldungen
Grün, lebendig - und digital
Fr, 01. November 2024
Sehnsuchtsort Dorf
Do, 17. Oktober 2024