Ängste, Fakten, Haltung
Die Zahl der Gewalttaten gegen Geflüchtete in Dahme-Spreewald nimmt zu. Welche Fakten Ängsten und Befürchtungen gegenüberstehen, darüber haben wir mit den zwei Zuständigen des Landkreises gesprochen. Derweil ringen Kommunen in Dahme-Spreewald um ihre Haltung zur Initiative „Brandenburg zeigt Haltung”.
Von Dörthe Ziemer
Ängste lassen sich am besten behandeln, indem man sich ihnen stellt, sagt die Psychologie. Ob Ängste sich in Wut und Aggression äußern oder die Folge von Wut sind, darüber streiten die Experten. Auf jeden Fall können sich Wut und Aggressionen zu Gewalt steigern. In Dahme-Spreewald ist die Zahl rechter Gewalttaten im Jahr 2023 von vormals 7 auf 24 Taten angestiegen, teilt der Verein Opferperspektive mit. Sechs politisch motivierte Straftaten gegen Asylbewerber oder Flüchtlinge bzw. deren Unterkünfte sowie eine rassistisch motivierte Straftat zählt das Innenministerium allein im vierten Quartal 2023 in Lübben. In der Nachbarstadt Lübbenau war es in diesem Zeitraum genau eine, im wesentlich größeren Cottbus gab es elf solcher Taten und in Königs Wusterhausen vier.
Statistik Gewalt gegen Geflüchtete / politisch motivierte Kriminalität
Mutmaßliche fremdenfeindliche Vorkommnisse wurden auch in diesem Jahr vermehrt in Lübben beobachtet. Dazu gehörten Plakataktionen rund um die Parkstraße, die sich gegen Migration richten. In der Parkstraße soll in diesem Jahr auf einem Privatgrundstück eine neue Unterkunft für bis zu 100 Geflüchtete entstehen. An einer Lärmschutzwand in der Parkstraße wurde zudem ein Galgen mit Frosch und einem rassistischen Wort aufgefunden. Nur einen Tag später wurde an einem Brückenpfeiler die Aufschrift “Familie xxx wird brennen” entdeckt, wobei es sich um den Namen des Grundstückseigentümers für die Geflüchteten-Unterkunft handelt. Darunter stand eine Telefonnummer. In allen Fällen ermittelt der Staatsschutz.
Parallel zu diesen Aktionen wurden Flugblätter mit dem Titel „Nein zum Containerdorf – Die Entscheidung ist hinter Deinem Rücken gefallen” verteilt. Darunter sind jede Menge Halb- und Unwahrheiten zur Kriminalität von Geflüchteten aufgeführt, es wird danach gefragt, ob der Staat die „volle Verantwortung für die Bürger und dessen Unversehrtheit” übernehme, ob die Polizeipräsenz erhöht werde und was die Unterkunft koste. Der Flyer endet mit der Aufforderung „Mache Dich stark für deine Heimat und sage Nein!” Nach den Kosten der Unterkunft erkundigte sich auch die Lübbenerin Nancy Schendlinger im Februar im Kreistag. Sie ist Gründerin der Bürgerinitiative (BI) „Unser Lübben – wir wollen keine Containerdörfer“, die sich inzwischen nur noch „Unser Lübben“ nennt. Sie wollte außerdem wissen, wie Verwaltung und Abgeordnete Bürgern mit Ängsten begegnen, weil unklar sei, welcher Personenkreis in der Parkstraße untergebracht werde.
„Wer daraus Ängste konstruieren möchte, der hat natürlich leichtes Spiel.“
Sozialdezernent Stefan Wichary
Maximal zehn Tage vorher sei bekannt, wer eine Gemeinschaftsunterkunft bezieht, antwortete Sozialdezernent Stefan Wichary im Kreistag. „Wer daraus Ängste konstruieren möchte, der hat natürlich leichtes Spiel“, schob er nach. Aufgrund der Erfahrungen mit anderen Einrichtungen im Landkreis, insbesondere auch in Lübben, bezeichnete er solche Ängste als unbegründet. Er verwies auf ein bereits länger zurückliegendes Gespräch mit Nancy Schendlinger, Mitstreitern der BI und Vertretern der Stadt Lübben zu diesen Themen. Die Zahl der Menschen, die vorübergehend in Gemeinschaftseinrichtungen oder Wohnverbünden in Trägerschaft des Landkreises bis zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus‘ leben, und über neue Planungen werde regelmäßig im Sozialausschuss sowie im Migrationsnewsletter kommuniziert.
Statistik Asylsuchende und Flüchtlinge
Aktuell leben insgesamt 1.870 Personen in der vorläufigen Unterbringung. Davon befinden sich 1.305 noch im Verfahren zur Klärung ihres Aufenthaltsstatus‘ und erhalten Asylbewerberleistungen. Sobald ihr Status geklärt ist, sind sie verpflichtet aus den Gemeinschaftsunterkünften auszuziehen und sich eine Wohnung zu suchen. Gelingt das nicht, können sie dort je nach Kapazität geduldet werden und zahlen für die Unterbringung. Geflüchtete mit Aufenthaltsstatus können sich eine reguläre Arbeit suchen. Finden sie keine, bekommen sie staatliche Leistungen wie Bürgergeld oder Leistungen vom Jobcenter.
„Wir wissen, dass Lübben eine erfolgreiche Integrationsarbeit vorweisen kann.“
Jens Richter, Lübbener Bürgermeister
Die Diskussion um Asylbewerber und all die Ängste, die auf Plakaten, von Bürgerinitiativen und Anfragen im Kreistag dargestellt werden, drehen sich also aktuell ein knappes Prozent der Bevölkerung des Landkreises. Es stellt sich die Frage, was anders wäre im Landkreis – gesetzt den Fall, dass alle 1.305 Menschen mit ungeklärtem Status zurückreisen müssen und dies auch tun. Man könnte nach Lübben blicken: Die bereits bestehende Gemeinschaftsunterkunft in der Jahnstraße existiert seit Jahren, sagt Antje Jahn, Integrationsbeauftragte des Landkreises. „Es gibt Null Beschwerden von dort“, berichtet sie. Auch die Stadt habe Bürgermeister Jens Richter zufolge „positive Erfahrungen“ mit der Einrichtung und „den sehr engagierten Mitarbeitenden“ gemacht. „Wir wissen, dass Lübben eine erfolgreiche Integrationsarbeit vorweisen kann“, teilt der Bürgermeister mit.
Einen Zwischenfall habe es doch gegeben – als von außen Ziegelsteine ins Fenster geworfen wurden, erinnert sich Antje Jahn. Einmal war die Sorge an sie herangetragen worden, dass Wäsche im Umfeld der Unterkunft verschwinde. „Ich habe mit den Anwohnern Kaffee getrunken und mit ihnen geredet“, erzählt sie, da seien Vorbehalte ausgeräumt worden. Gestört habe Anwohner auch das laute Telefonieren der Bewohner außerhalb der Unterkunft. „Ich fragte zurück: Haben Sie mit ihnen schon mal geredet?“, so die Integrationsbeauftragte. „Dann hätten Sie erfahren, dass es drinnen einfach schlechten Empfang gibt.“ Auch die Kriminalitätsstatistik für Lübben weise in Bezug auf Kriminalität von Asylbewerbern keine Auffälligkeiten auf, sagt Stefan Wichary. Fälle mit nichtdeutschen Tatverdächtigen gebe es im niedrigen zweistelligen Bereich, die Straftatbestände beziehen sich auf Autodiebstahl; es gebe keine Morde, keine Übergriffe. „Es werden heute dieselben Befürchtungen wie 2015/16 laut“, schätzt der Dezernent ein.
Gerade in Lübben sei auch keine Überlastung der Kitas zu erwarten – im Gegenteil. Gegenwärtig gebe es 147 freie Kitaplätze, weshalb offenbar der Wunsch, dass vorrangig Familien am neuen Standort untergebracht werden, so groß ist, so Stefan Wichary. Die Stadt habe ihre „Forderung nach einer familienfreundlichen Einrichtung“ an den Landkreis gerichtet, darauf verweist der Bürgermeister. „In Lübben haben wir das Glück, genügend Kitaplätze zur Verfügung zu haben, um Kindern eine altersgerechte Betreuung zu ermöglichen.“ Je nach Möglichkeit komme die Kreisverwaltung solchen Wünschen nach. In der Einrichtung in der Jahnstraße würden beispielsweise Familien aus Massow mit schulpflichtigen Kindern untergebracht. Doch am Ende müsse man die Menschen unterbringen, die dem Landkreis zugewiesen werden, sagt Stefan Wichary.
Seitdem das Land Asylbewerber mit schlechter Bleibeperspektive in den Landesaufnahmeeinrichtungen unterbringt (außer Familien), kämen ohnehin weniger Menschen im Landkreis an, stellt die Kreisverwaltung fest: Im vergangenen Jahr waren 833 zugewiesene Flüchtlinge und Asylbewerber aufgenommen worden – gut halb so viele, wie vom Land ursprünglich angekündigt. Für das Jahr 2024 hat das Brandenburger Sozialministerium dem Landkreis Dahme-Spreewald ein Aufnahmesoll von 1.212 Personen mitgeteilt.
Der Tenor bei der Kritik beziehe sich häufig auf alleinreisende Männer, die demnach alle „gefährlich“ und „faul“ seien, kritisiert Stefan Wichary. Es könne jedoch gelingen, sie gut zu integrieren. „Das haben wir seit 2015/16 im Landkreis gut geschafft“, resümiert er. Es gebe inzwischen gute Helferstrukturen, während am Anfang viele Ehrenamtliche aktiv gewesen seien. Einige von ihnen sind mit ihren jeweiligen Spezialisierungen immer noch aktiv, etwa bei der Sprachvermittlung, bei Behördengängen oder in Kleiderkammern. Inzwischen gebe es zusätzlich die Migrationssozialarbeit, die aufsuchende Sozialarbeit, den Fachberatungsdienst in Luckau, Lübben und Königs Wusterhausen. In jeder Gemeinschaftsunterkunft seien zwei Sozialarbeiter beschäftigt, vom Sozialamt seien zwei mobile Mitarbeiter unterwegs. Die Dahmeland soziale Dienste oder das Stellwerk 8 bieten Unterstützung für die Menschen, die inzwischen einen Aufenthaltstitel haben.
Hinzu kommt das Projekt „LDS integriert“ das bei der Arbeitsvermittlung helfen soll. Derzeit seien 76 Syrer und 84 Afghanen arbeitslos. 3.800 Arbeitslose waren laut Arbeitsagentur im Februar im Landkreis gemeldet (Quote: 4 Prozent), davon 80 Prozent Deutsche und 20 Prozent Ausländer (Quote Ausländer: 10 Prozent). Dabei gelte, so Antje Jahn: Wer Schwierigkeiten hat einen Aufenthaltstitel zu bekommen, finde am schnellsten Arbeit. Von den jungen Menschen, die in eine Ausbildung vermittelt wurden, haben inzwischen 30 ihren Abschluss gemacht, über 60 Verträge wurden geschlossen.
„Wenn man sich mit Menschen unterhält, die schon lange hier sind, sagen sie, dass Rassismus im Alltag vorhanden ist, in Supermärkten etwa.“
Antje Jahn, Integrationsbeauftragte
10 bis 14 Prozent derer, die während der Arbeitssuche staatliche Leistungen empfangen, könnten immer gleich in Arbeit vermittelt werden, sagt Antje Jahn. Dabei liege die Quote bei Ausländern – etwa aus Syrien, Eritrea, Irak, Iran – deutlich über dem Durchschnitt. „Sie sind schneller integriert als jeder deutsche Leistungsempfänger“, so die Integrationsbeauftragte. Stefan Wichary resümiert: „Jeder, der arbeiten will, kann das. Wir merken mehr und mehr, dass sich auch die Arbeitgeber dafür öffnen.“ Schließlich bestehe nicht nur einen Fachkräfte-, sondern einen Arbeitskräftemangel.
Die Wahrnehmung bleibe dennoch: Sobald jemand aus ausländisch aussieht, wird er als Flüchtling wahrgenommen, so die Beobachtung von Stefan Wichary und Antje Jahn. „Wenn man sich mit Menschen unterhält, die schon lange hier sind, sagen sie, dass Rassismus im Alltag vorhanden ist, in Supermärkten etwa“, berichtet Antje Jahn. Es habe auch Angriffe in der Bahn gegen Pflegekräfte gegeben, die auf dem offiziellen Weg der Arbeitsmigration nach Deutschland gekommen seien. Das berge auch einen möglichen Schaden nach außen, befürchten beide: „Man kann man nicht mehr in den Spreewald fahren”, sei öfter zu hören. Stattdessen komme es darauf an, die Menschen nicht nur auf die Eigenschaft „Ausländer“ zu reduzieren, sondern sie als Menschen kennen zu lernen, sagt Stefan Wichary. „Je südlicher wir uns dabei befinden und je weniger Kontakt dort zustande kommt, umso wichtiger ist es, dass man das hinbekommt.“
Damit zurück zum Ausgangspunkt: Ängste bekämpfen, in dem man sich ihnen stellt. Gute Information ist ein Schritt dorthin. An dieser habe es in der Vergangenheit gemangelt, kritisiert nicht nur die BI, sondern auch die Stadt Lübben in Richtung Landkreis als Träger der geplanten Unterkunft. E sei „nicht verständlich, warum man nicht aktiv in die Kommunikation geht, um Gerüchten frühzeitig entgegenzutreten“, schreibt Bürgermeister Jens Richter in einer Mitteilung an die Bürgerschaft. Er betone, „dass die Menschen in unserer Stadt berechtigte Fragen und einen Anspruch auf Informationen haben. Niemand ist dem rechten Spektrum zuzuordnen, weil er Fragen äußert“. Als Stadt verstehe man „die Befürchtungen der Bürgerschaft“ und nehme diese ernst.
Stefan Wichary als zuständiger Dezernent stellt klar, dass immer dann kommuniziert werde, wenn es Informationen gibt. So sei im Frühjahr 2023 kommuniziert worden, dass Lübben als Standort geplant sei. „Aber da war noch nicht klar, wo“, blickt er zurück. Dann kam das kurzfristige Angebot des privaten Grundstückseigentümers. „Als das klar war, haben wir kommuniziert, dass es ein Modulbau mit rund 100 Plätzen werden würde. Trotzdem gibt es den Vorwurf, wir würden etwas verheimlichen“, so der Dezernent. „Weitere Infos nicht verfügbar, aber das glaubt man uns nicht.“ Die Infos würden in jeder Bürgermeister-Dienstberatung und im Sozialausschuss mitgeteilt. Zudem habe man Fehlinformationen einfangen, etwa, dass 2000 Asylbewerber kommen sollten.
In Mittenwalde sei er in der Stadtverordnetenversammlung gewesen, um Fragen zu beantworten, so Stefan Wichary, das biete er der Stadt Lübben auch an. Wichtig sei ihm, dass so etwas in „geordnetem Rahmen“ stattfinde, also dass die Sitzungsleitung das Rederecht vergebe und dass nur Einwohner sprechen dürften. Im Dezember seien seine Kollegen beispielsweise in der Gemeindevertretersitzung in Bestensee gewesen. Antje Jahn ergänzt, dass sie mehrfach in der Lübbener Stadtverordnetenversammlung gewesen sei, dort habe es keine Fragen gegeben. Sie sei auch immer wieder mit Nancy Schendlinger von der BI im Gespräch gewesen.
Wichtig sei beiden auch ein zweites Gesprächsformat, bei dem alle anwesend sind, die mit einer Unterkunft zu tun haben: Schulleitung, Feuerwehr, Polizei, Integrationsbeauftragte, Sozialamtsleiter, LDS integriert, der jeweilige Betreiber, interessierte Arbeitgeber. „Da kann man vor Ort Kontakte knüpfen und ein Gesicht zum Ansprechpartner haben“, so Antje Jahn. In Mittenwalde sei das schnell gegangen, resümiert Stefan Wichary: „Die Einrichtung stand, die Leute kamen, und plötzlich war es nicht mehr schlimm.“ Die Einrichtung sei bereits davor mit ausländischen Arbeitnehmern belegt gewesen, mit Männern einer Zeitarbeitsfirma. Das Problem in Lübben bestehe darin, so Antje Jahn, dass der Zeitraum von der Bekanntgabe der Pläne bis zum Start so lang sei. Das lasse viel Raum für Spekulationen.
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