Strukturwandel mit Menschen vor Ort
Den Lausitzer Strukturwandel mitgestalten – aber wie? Antworten auf diese Frage will das Netzwerk „Bürgerregion Lausitz“ nun gemeinsam mit den Menschen vor Ort finden. Für Dahme-Spreewald ist der Knotenpunkt Nord mit dem Verein „Wertewandel“ zuständig.
Von Andreas Staindl
Die Struktur der Lausitz verändert sich. Aus dem Kohlerevier soll eine Modellregion für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum werden. Doch der politische Wille allein führt noch nicht zum Erfolg. Die Menschen vor Ort sollen und müssen am Großprojekt „Strukturentwicklung“ beteiligt werden. Das Netzwerk „Bürgerregion Lausitz“ soll dabei helfen. 3,7 Millionen Euro stellen Bund und Land von 2023 bis 2026 für das Netzwerkprojekt bereit. Davon stammen etwa 3,3 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „STARK – Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten“. Der Verein „Lausitzer Perspektiven“ e.V. ist der Träger des Projekts, Dagmar Schmidt die Vorsitzende, die Geschäftsstelle in Raddusch (Stadt Vetschau/Oberspreewald-Lausitz).
Das erste Jahr liegt hinter dem Netzwerkprojekt. Was wurde erreicht? Welche Initiativen und Ideen gibt es? Was wurde schon umgesetzt, was ist in Planung? Wie reagieren die Menschen vor Ort auf den Strukturwandel? Und hat die „Bürgerregion Lausitz“ den Landkreis Dahme-Spreewald als Randregion des Kohlereviers überhaupt im Blick?
„Natürlich“, sagt Dagmar Schmidt, „auch der Landkreis Dahme-Spreewald ist für uns im Prozess des Strukturwandels wichtig. Der Wandel funktioniert nur, wenn die Zivilgesellschaft beteiligt wird.“ Konkrete Projekte in Dahme-Spreewald gibt es allerdings noch nicht, zumindest keine, die schon umgesetzt sind. „Wir wollen uns jetzt stärker auch auf den Landkreis Dahme-Spreewald konzentrieren“, sagt Corry Kröner von Wertewandel e.V., einem Verein innerhalb des Netzwerks „Bürgerregion Lausitz“, der den Knotenpunkt Nord in Raddusch übernommen hat. Sie verweist auf ein Arbeitstreffen, das aktuell mit Akteuren dieser Region in der Lausitz stattfindet. Betreiber von Mehrgenerationenhäusern seien ebenso dabei wie der Spreewaldverein und Wohlfahrtsverbände. Ziel ist es, „Bürgerinnen und Bürger, staatliche Institutionen und Kommunen zu beraten und zu vernetzen“, wie Dagmar Schmidt sagt. „Wir regen Kooperationen an und machen uns für die Belange der Zivilgesellschaft stark. Dafür engagieren wir uns in verschiedenen Gremien.“
Wie das aussehen kann, macht sie an einem Beispiel deutlich. Der Sportverein in Raddusch habe das Projekt „Lernen im essbaren Dorf Raddusch“ vor einigen Jahren angeschoben. Der Fokus liegt ihr zufolge auf nachhaltiger Entwicklung im Garten und in der Küche. Angelegte Hochbeete gehören dazu. Das Dorf als ideales Lernumfeld, der Lerngarten Raddusch im Konkreten. Die Spreeakademie mit Sitz im Spreewalddorf unterstützt fachlich – sie koordiniert und berät. Das Sozialunternehmen ist Anlaufstelle für Bildungs- und Qualifizierungsangebote rund um nachhaltige Kommunal- und Regionalentwicklung. Die Spreeakademie zielt auf lokales Engagement ab. Öffentliche Verwaltungen und Vereine zählen zu den Projektpartnern.
„Wir suchen Bürger, Vereine und andere Akteure, die am Strukturwandel interessiert sind und diesen Prozess aktiv begleiten wollen.“
Corry Kröner, Wertewandel e.V.
Die Netzwerker der „Bürgerregion Lausitz“ suchen weitere Partner-auch im Landkreis Dahme-Spreewald. „Kommunale Verwaltungen und Kommunalpolitiker sind unsere ersten Ansprechpartner“, sagt Corry Kröner. „Wir informieren sie über ihre Rolle während des Strukturwandelprozesses; es geht auch um den wirtschaftlichen Umbau. Im nächsten Schritt suchen wir Bürger, Vereine und andere Akteure, die am Strukturwandel interessiert sind und diesen Prozess aktiv begleiten wollen.“ In Lauchhammer (Oberspreewald-Lausitz) ist das ihr zufolge schon gelungen. Ein Erzähl-Café bietet den Menschen dort eine Plattform, ihre Sorgen, Wünsche, Gedanken und Hoffnungen zu äußern. „Die Menschen fühlen sich ernst genommen und freuen sich, dass ihnen jemand zuhört“, sagt Corry Kröner. „Wir wollen sie während des Strukturwandelprozesses mitnehmen, unterstützen ihre Ideen und Anregungen.“
Engagieren sich hauptamtlich im Netzwerk „Bürgerregion Lausitz“:
Dagmar Schmidt, Carolin Kahn und Corry Kröner (v.l.) vor der Geschäftsstelle in Raddusch.
Foto: Andreas Staindl
Möglichkeiten, sich einzubringen, gab es doch auch schon vorher. Was ist jetzt anders? Und warum sollen diese Veranstaltungen plötzlich die Leute mitreißen?
„Weil wir von außen kommen, den Menschen unvoreingenommen gegenüberstehen, ihre Sorgen ernst nehmen und ihre Wünsche aufgreifen, zudem Lösungsansätze aufzeigen“, sagt Dagmar Schmidt. Erzähl-Cafés fanden inzwischen schon mehrere in Lauchhammer statt. Eine solche Einrichtung soll jetzt auch in Lieberose (Dahme-Spreewald) folgen. Es wäre ein erster so genannter Knotenpunkt des Netzwerkprojekts „Bürgerregion Lausitz“ im Landkreis Dahme-Spreewald – quasi eine Anlaufstelle des Projekts für Bürger vor Ort. „Wir hatten gute Gespräche, der Start in Lieberose steht kurz bevor“, sagt Carolin Kahn, Projektmitarbeiterin im Verein „Wertewandel“ im Knotenpunkt Nord.
„Wandel ist für viele Leute durch die politische Wende vor etwa 35 Jahren ohnehin negativ besetzt. Gerade ältere Bürger haben diese Zeit noch sehr gut in Erinnerung. Wir wollen helfen, dass ihnen nicht erneut Dinge übergestülpt werden.“
Dagmar Schmidt, Bürgerregion Lausitz
Erzähl-Cafés sollen auch in Lieberose als Plattform der Bürger, den Strukturwandel aktiv mitzugestalten, entstehen. „Wir bringen Leute zusammen, die Veränderungen offen gegenüberstehen und Lust haben, gesellschaftliche Prozesse zu verändern“, sagt Dagmar Schmidt. „Junge Leute sind eher dazu bereit.“ Was sie mit dem Netzwerkprojekt auf keinen Fall will: „Über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden. Wandel ist für viele Leute durch die politische Wende vor etwa 35 Jahren ohnehin negativ besetzt. Gerade ältere Bürger haben diese Zeit noch sehr gut in Erinnerung. Wir wollen helfen, dass ihnen nicht erneut Dinge übergestülpt werden und es wieder zu Brüchen in persönlichen Biographien kommt.“
Und was bewegt die Menschen unabhängig der großen Politik?
„Der Nahverkehr ist ein großes Thema, die Mobilität gerade in ländlichen Regionen“, erzählt Carolin Kahn. „Die Bürger beschäftigt auch, ob ihre ärztliche Versorgung künftig noch vor Ort gesichert ist, zudem, wie es mit der Bildungslandschaft weitergeht, mit Kita- und Schulplätzen, mit der öffentlichen Infrastruktur.“ Vieles davon wird seit langem diskutiert, auch im Landkreis Dahme-Spreewald. Etwa die Mobilitätsachse zwischen dem Bahnhof und der Innenstadt in Lübben. Oder die Verbesserung der Parkplatzsituation am Bahnhof in der Kreisstadt. Auch neue weiterführende Schulen gerade im Norden des Kreises sind ein großes Thema.
Was und wo auch immer: Wünsche und Ideen treffen auf Gegenwehr und Ablehnung, teils vorhersehbar, manchmal auch überraschend. Das sorgt für Frust, Entwicklungen stagnieren.
Dagmar Schmidt regt deshalb an, „möglichst viele Akteure frühzeitig zu beteiligen“. Bund und Land verstehen das Netzwerk „Bürgerregion Lausitz“ ohnehin als Impulsgeber, der die Menschen im Kohlerevier zum Mitmachen während des Strukturwandels begeistert und unterstützt. Die 3,7 Millionen Euro Fördermittel sollen zivilgesellschaftliche Beteiligungen ermöglichen. „Wir sind jetzt ein Jahr als Netzwerkprojekt unterwegs und müssen unsere Arbeit weiter ausjustieren“, sagt Dagmar Schmidt. Knapp drei Jahre sind dafür vorerst noch Zeit. Infos unter www.lausitzer-perspektiven.de im Internet.
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