„Du musst es machen – hier“
Wie bleiben Lausitzer Kleinstädte lebendig? Das wurde kürzlich vom Gründungszentrum Lausitz in Luckau diskutiert. Aber auch Gewerbeverein, Verwaltung und Politik suchen immer wieder nach Lösungen – bis hin zur Überlegung, wohin der Wochenmarkt gehört.
Von Dörthe Ziemer
Das Städtchen Luckau – einst eine der Hauptstädte der Niederlausitz – verlor nach der Wende den Kreissitz und zählt heute mit Ortsteilen etwa 9.500 Einwohner und längst nicht so viele Touristen wie die Städte im Spreewald. Luckau verlor über viele Jahre Einwohner und hatte immer wieder größere Bauarbeiten in der City. Das trieb vielen Gewerbetreibenden Löcher in die Kassen und Sorgenfalten auf die Stirn. Zuletzt schien Corona dem Altstadt-Treiben den Garaus zu machen. Hinzu kommt, dass sich heute, mehr als 30 Jahre nach der Wende, viele Geschäftsgründer von einst in den Ruhestand verabschieden.
Auf der Haben-Seite verbucht Luckau eine nahezu perfekt sanierte Altstadt und seit der Landesgartenschau 2000, der ersten im Land Brandenburg, ein bemerkenswertes Kleingarten- und Parkgrün rund um die Stadtmauer sowie einen Stadtpark in nächster Nähe. Dazu viele historische Bauwerke, in denen Kultur und Begegnung ihren Platz finden, zahlreiche Bäckereien mit Cafés und einige Gaststätten, von denen der altehrwürdige Ratskeller zweifelsfrei die edelste sein dürfte. Auf dem Markt plätschert – nach der Sanierung – ein Wasserspiel vor sich hin. Wenn die Schule im nahen Gymnasium aus ist, belebt sich die City – bis die Busse auf der anderen Stadtmauer-Seite in die Dörfer fahren.
Zwischen beiden Szenarien versucht sich das Luckauer Gewerbe zu halten und zu entfalten – seit 2014 mit einem Gewerbeverein im Rücken, der einerseits immer wieder den Finger in die Wunde zu legen weiß, andererseits mit immer neuen Ideen aufwartet. So machte er im Februar 2021 – auf einem der Höhepunkte der Corona-Pandemie, mit der Aktion „5 nach 12“ auf die prekäre Situation des Einzelhandels im Lockdown aufmerksam. Die Aktion wurde in weiteren Städten in Südbrandenburg aufgenommen. Als zündende und bleibende Ideen kann der Verein die Luckauer Altstadtweihnacht verbuchen, bei der nicht nur Buden auf dem Marktplatz zu finden und Geschäfte geöffnet sind, sondern leere Geschäfte belebt und weihnachtlich geschmückte Altstadthöfe geöffnet werden. Auch die Altstadtnacht, hervorgegangen aus der Keller- und Kirchennacht, wurde weitergeführt, der Maxi-Herbst-Mix, eine Verkaufsaktion im September, initiiert und vieles mehr.
Doch die Mühen des Alltagsgeschäfts – sie bleiben. Darum sind die Händler, der Gewerbeverein, die Stadtverwaltung und die Stadtverordneten immer wieder im Gespräch, etwa in einem Forum Lebendige Innenstadt. Themen sind und waren immer wieder die Parkzeiten auf und um den Marktplatz, der Standort des Wochenmarktes oder Öffnungszeiten der Händler. Das Parkraumkonzept steht inzwischen – neu ist die „Brötchentaste“, die 30 Minuten freies Parken gewährt (wobei trotzdem ein Ticket zu ziehen ist). Ein Jahr lang soll das neue Konzept erprobt werden. Auch der Wochenmarkt ist auf den Marktplatz zurückgekehrt, obgleich viele Markthändler den Standort am Parkplatz vor dem großen Laga-Park bevorzugt hätten. Denn Stände und kostenfreie Parkplätze lagen direkt nebeneinander - beinahe Drive-In-Qualitäten herrschten dort vor.
„Ein Wochenmarkt hat auch eine soziale Funktion: Man trifft Bekannte, man trinkt einen Kaffee zusammen, man tauscht sich über die Woche aus.“
Dirk Dieter, Deutsche Marktgilde eG
„Doch das ist nicht Sinn eines Wochenmarktes“, erklärt Dirk Dieter von der Deutschen Marktgilde eG, die seit September den Luckauer Wochenmarkt organisiert. „Ein Wochenmarkt hat auch eine soziale Funktion: Man trifft Bekannte, man trinkt einen Kaffee zusammen, man tauscht sich über die Woche aus.“ Das sei mit der Rückkehr auf den Marktplatz nun wieder möglich: Man sehe es an den Cafés, sagt der Experte. „Wir freuen uns riesig, dass der Wochenmarkt wieder da ist“, sagt auch Jutta Dzielak vom Gewerbeverein. Der Verein habe das Thema immer wieder auf die Agenda gehoben, nun sei mit der Marktgilde eine gute Lösung gefunden worden. „Die Premiere war ein würdiger Auftakt“, schätzt sie ein.
Der Markt bringe auch den umliegenden Geschäften Kunden, ist Dirk Dieter überzeugt. „Da muss niemand Angst haben, dass Umsätze geklaut werden“, erklärt er. Natürlich würde er nach Luckau keinen Bäcker auf den Markt einladen – denn davon gebe es ringsum genug. Elf Händler habe die Premiere des Wochenmarkts unter Regie der Marktgilde gehabt, sagt Dirk Dieter. Da die Gilde viele Märkte in der Region organisiert, konnte sie auf ein breites Händlerportfolio zurückgreifen. „Wenn sich die Zahl bei etwa acht einpegelt, sind wir zufrieden“, sagt er. Das gilt zumindest für die nächsten zehn Jahre.
Wie sich das Marktgeschehen langfristig weiterentwickelt, darüber will der Fachmann nicht spekulieren. Fakt sei, dass viele Händler keinen Nachwuchs für ihren Stand haben und irgendwann ihr Geschäft aufgeben müssten. „Viele haben nach der Wende angefangen, da waren sie vielleicht 30 Jahre alt. Dann gehen sie nun bald in Rente“, sagt er und legt damit den Finger in die Luckauer Wunde. An eine Webpräsenz trauen sich seiner Beobachtung nach viele gerade ältere Händler nicht heran, dabei stellt die Marktgilde die technische Infrastruktur, etwa für den Wochenmarkt in Eberswalde. Digitalisierung bleibt auch im Gewerbeverein ein drängendes Thema. „Viele haben sich mit dem Thema noch nicht befasst, doch inzwischen sehen es auch die Älteren ein, dass da etwas passieren muss“, sagt Jutta Dzielak. Doch Online-Handel sei nicht gleich Online-Handel, gibt sie zu bedenken: Im Kleinstadt-Gewerbe könne es eben nicht so wie bei großen Lieferdiensten funktionieren, also dass man bestellen, probieren und zurückschicken könne.
Die Hauptstraße in Luckau - zugleich Hauptgeschäftsstraße. Foto: Dörthe Ziemer
Zu diesem Thema bot ein Netzwerkabend des Gründungszentrums Zukunft Lausitz / Startup Lausitz einen hilfreichen Input, schätzt Jutta Dzielak ein. Die Lausitzer Klärtechnik (LKT) stellte dort ihr Projekt „diMo“ (digitaler Monteur) vor: eine selbst konzipierte und programmierte Software, die alle Wartungsverträge bündelt und auf dieser Basis Monteur-Einsätze koordiniert. Die Kunden können ihre Daten einsehen, wissen, wann die letzte Wartung dran war und welche Ergebnisse sie brachte. Die Monteure werden so eingesetzt, dass sie möglichst weniger Kilometer von Wartung zu Wartung zurücklegen. Sie geben vor Ort die Messdaten digital ein und während sie weiterfahren, hat der Kunde seinen Wartungsbericht im Postfach. „Das vereinfacht die Prozesse“, sagt Thorsten Jansen von LKT. Wo früher zwei Exceltabellen und viele Flurgespräche notwendig waren, läuft heute vieles automatisiert ab – mit einer Zeitersparnis von 4,5 Stunden pro Tag. Das System wurde inzwischen lizensiert und kann weitervertrieben werden.
Bis Gewerbetreibende in einer Kleinstadt wie Luckau eine passende Strategie für die Digitalisierung gefunden haben, könnte es jedoch dauern. Gut angenommen werde derzeit schon das digitale Kaufhaus, in dem viele Händler eine digitale Visitenkarte besitzen, sagt Jutta Dzielak. „Das war bei einigen vorher gar nicht der Fall. Nun findet man eben eine Telefonnummer, eine Mailadresse oder den Link zum Facebook-Auftritt dort“, erklärt sie. Ebenso inspirierend war für ihren Verein ein Erfahrungsbericht des Calauer Bürgermeisters Werner Suchner beim Netzwerkabend. Er stellte die Marketing-Aktivitäten in seiner Stadt vor, die Einkauf zum Erlebnis werden lassen und eine hohe Aufenthaltsqualität in der Stadt schaffen. Der entscheidende Unterschied zu Luckau: 17 Gewerbeeinheiten in der Calauer City befinden sich im Eigentum der städtischen Wohnungsgesellschaft. Somit könne einem möglichen Leerstand gut entgegengesteuert werden, erklärte der Rathaus-Chef. Es gebe beispielsweise ein „Gewerbe-Starterpaket“: Das gewähre Ladenmietern im ersten Jahr einen Rabatt von 50 Prozent der Kaltmiete. Auch „artfremde“ Vermietung werde dem Leerstand vorgezogen: Ein Planungsbüro folge auf einen Gemüseladen, oder ein Atelier oder ein Tanzstudio ziehen ein. Bereits zum dritten Mal findet derzeit der Kunst Raum Calau statt. Künstler unterschiedlicher Genres stellen in den Schaufenstern und manchmal auch im Laden selbst aus. 30 Künstler aus Brandenburg, Berlin und Sachsen sind mit dabei.
„Die Alternativen lauten: den Laden eingeschränkt öffnen oder gar nicht. Da ist uns natürlich lieber, wenn es das Geschäft überhaupt weiterhin gibt.“
Jutta Dzielak, Gewerbeverein Luckau
An Ideen mangelt es den Luckauern auch nicht. Nach digitalem Kaufhaus sind nun digitale Häuser dran: 26 Häuser der Altstadt werden mit QR-Codes versehen, die zu Audio-Dateien über die Geschichte des Hauses führen. Das könnte – ähnlich wie die Kunst in Calau – die Frequenz in der Innenstadt weiter erhöhen. Für die Händler bleibt indes eine wichtige Hausaufgabe zu erledigen: die Öffnungszeiten ihrer Geschäfte abzustimmen. Derzeit haben viele Händler sehr unterschiedlich geöffnet – ein Altstadtbummel könnte damit enden, dass man vor einigen verschlossenen Läden steht. Dieses Problem haben nicht nur Stadtverordnete immer wieder angesprochen, auch der Gewerbeverein ist sich der Problematik bewusst. „Wir diskutieren das heiß und hart“, gesteht Jutta Dzielak. Die Schließzeiten während der Pandemie haben jedoch dazu geführt, dass manche Inhaber ganz allein in ihrem Laden stehen müssen und die Mittagspause oder auch mal einen Schließtag schlicht benötigen. „Da lauten die Alternativen: den Laden eingeschränkt öffnen oder gar nicht“, sagt Jutta Dzielak, die mit allen Innenstadthändlern über dieses Thema gesprochen hat. „Da ist uns natürlich lieber, wenn es das Geschäft überhaupt weiterhin gibt.“ Nichtsdestotrotz werde an einem Konzept gefeilt, wie man die Öffnungszeiten synchronisieren kann. Der Donnerstag als Markttag kristallisiere sich als der Tag heraus, an dem die meisten Geschäfte die längsten Öffnungszeiten haben – abgesehen von einer Mittagsschließzeit. „Hier spüren wir eine deutliche Belebung der Innenstadt“, sagt sie. Dafür sei es montags so ruhig, dass man die Bürgersteige hochklappen könne. Dies gelte es zu vereinheitlichen und zu kommunizieren.
Luckaus Bürgermeister Gerald Lehmann betont die Verantwortung aller für eine lebendige Innenstadt: „Wir als Kommune können Angebote und Rahmenbedingungen schaffen, aber kein Geschäft und kein Café betreiben“, sagte er beim Netzwerkabend. Deshalb hoffe er auf weitere Impulse aus Netzwerken wie Zukunft Lausitz. Nur mit guten Geschäftsideen könne ein weiteres Leeren der Innenstadt aufgehalten werden. Mit solchen könne man sich auch getrost an ihn als Bürgermeister oder an das Ordnungs- und Gewerbeamt wenden. Auf das Machen komme es an – das betonte an diesem Abend auch Gründe Martin Grünewald, der in Cottbus das Suppenstübchen übernommen hat. Mit immer neuen Rezeptideen und „erweiterten Suppen“ wie Wurstgulasch oder sauren Hering, aber auch Tomaten- und Gurkensalaten komme er an neue Kunden. Aber nicht nur: Wichtig sei bei ihm auch die Präsenz auf der Fotoplattform Instagram: „Die Leute kommen, weil man im Internet ist, weil man ein schönes Foto gemacht hat“, so seine Erfahrung. Er sei, sagte er in Luckau, überrascht davon „was hier so passiert“. Er selbst habe durch Netzwerke und Institutionen wie Zukunft Lausitz, aber auch die Kammern oder die Investitionsbank des Landes Brandenburg viel Unterstützung erfahren. „Diese Kraft muss man den Leuten geben“, sagt er und findet, dass sich noch viel mehr Leute trauen müssten, selbst ein Unternehmen zu gründen. Er hat einige Zeit im Ausland verbracht und sei mit der Gewissheit in die Heimat zurückgekommen: „Du musst es machen, hier in unserer Region.“
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