Gute Lebensqualität: komplex
Den allgegenwärtigen Mangel an Schul- und Kitaplatzen, Ärzten, Fachkräften und Wohnraum zu beheben, ist vor allem eines: komplex. Nicht immer ist der Landrat der eigentlich Zuständige. Ansprechpartner, Ermöglicher und Berater ist er allemal. Ein Überblick.
Von Dörthe Ziemer
Wer über Lebensqualität in Dahme-Spreewald redet, hat vielleicht die vielen Seen, den Spreewald, ausgebaute und vernetzte Radwege, Sport- und Freizeitmöglichkeiten, Vereine und Kulturangebote vor Augen. Doch um das genießen zu können, braucht es eine Grundversorgung mit allem, was für ein gutes Leben verschiedener Generationen notwendig ist: professionelle Kinderbetreuung, eine wohnortnahe Schule, gute Arbeits- und Wohnmöglichkeiten, eine bedarfsgerechte ärztliche Versorgung und mehr. Dabei kommen gerade bei diesen Themen zahlreiche Zuständigkeiten von Verwaltung und Politik zusammen. Mehrere Ebenen müssen ineinandergreifen, damit Probleme gelöst werden können. Um es in einem Satz zu sagen: Gute Lebensqualität ist – komplex.
Kita-Plätze schaffen die Kommunen – im Auftrag des Landkreises, nach Vorgaben des Landes. Sie müssen auch die Erzieher einstellen. Bei Schulen ist das anders – Schulplätze schaffen Kommunen und Landkreis, die Lehrer werden vom Land eingestellt. Zur Schaffung von Wohnraum gibt es die Wohnungsbaugesellschaften der Kommunen sowie zahlreiche Genossenschaften, jedoch nicht auf Kreisebene. Bei den Ärzten schließlich vergibt die kassenärztliche Vereinigung des Landes die Sitze und legt fest, wer sich wo ansiedeln darf. Nicht für alles ist also ein Landrat mit seiner Kreisverwaltung zuständig. Als Impulsgeber, Vernetzer und Unterstützer ist er allemal auf allen Ebenen gefragt.
Kitaplätze
Besonders im Norden des Landkreises sind Kita-Plätze rar. In Schönefeld stehen Eltern von rund 420 Kindern ohne einen Betreuungsplatz da. Doch nicht unbedingt fehlende Räume sind das Problem, sondern die nicht vorhandenen Erzieher. 35 Eltern haben in Schönefeld ihren Anspruch auf einen Kita-Platz rechtlich eingeklagt, in Schulzendorf gibt es acht Klageverfahren. Aus Sorge vor den Kosten solcher Verfahren hat Schulzendorf seinen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Landkreis, durch den die Aufgabe der Kita-Betreuung an die Kommunen übertragen wird, gekündigt. Schönefeld und auch die Gemeinde Drahnsdorf im Amt Unterspreewald wollten zum Jahresende folgen.
Zurzeit ist ein neuer Vertrag über die Aufgabenverteilung im Bereich Kita zwischen Landkreis und Kommunen in der Diskussion. Die Kommunen bleiben dem Entwurf zufolge für die Schaffung von Kitaplätzen und die Einstellung von Erziehern verantwortlich. Neu ist hingegen, dass der Landkreis für die Gerichtskosten einspringt, sollte es zu Klagen von Eltern kommen, die ihren Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz einfordern. Mit der Diskussion über den Vertragsentwurf wurde diese Woche im Jugendhilfeausschuss begonnen, es folgen der Kreisausschuss und der Kreistag. Ist der Vertrag durch letzteren beschlossen, müssen noch alle 16 Kommunen und Ämter im Landkreis zustimmen – wiederum über ihre Gemeindevertretungen. Kommt es nicht dazu, dann kündigt der Landkreis seinerseits alle Verträge und übernimmt die Aufgabe der Kinderbetreuung selbst.
Zeitgleich streitet die Kreisverwaltung mit dem Land vor Gericht um eine angemessene Kostenübernahme für Erzieher. Es geht um 1,4 Millionen Euro mehr an Landeszuschüssen. Nach der Tarifrunde von 2020 war die Arbeitszeit von Vollzeitkräften ab Januar 2022 auf durchschnittlich 39,5 Stunden und ab Januar 2023 auf durchschnittlich 39 Stunden pro Woche reduziert worden. Dies fand jedoch offenbar keine Entsprechung bei der Personalbemessung und dem Personalkostenzuschuss des Landes Brandenburg.
Einen weiteren Streit gab es zwischen Brandenburger Landkreisen und Bildungsministerium, nämlich um die Kitarechtsreform des Landes. Mit dieser sollen u.a. neue Qualitätsstandards und einheitliche Gebührenmodelle für Kitas entwickelt werden. Im März vergangenen Jahres war der Prozess ganz zum Erliegen gekommen, weil die Kommunen und Landkreise angesichts der andauernden Pandemie keine Ressourcen für die Umsetzung der Reform sahen. Nun soll er fortgesetzt werden. Kernstück der Debatten um die Reform – bei allen wichtigen Vorschlägen und Forderungen zur inhaltlichen Qualität – ist die Finanzierung. Die soll künftig gerechter und transparenter sein. In der Vergangenheit hatte jede Kommune ihre eigene Kitabeitragssatzung, was zu ungleichen Beträgen und viel Unmut aufseiten der Eltern geführt hat. Doch wer trägt welchen Anteil an den Kosten – Land, Landkreise, Kommunen, Eltern?
Die Situation rund um das Thema Kita ist also unübersichtlich. Bei all dem haben Eltern auf verschiedenen Ebenen Mitwirkungsrechte. Seit einigen Jahren gibt es den Kreis-Kitaelternbeirat sowie einen entsprechenden Landesbeirat, analog zu den schulischen Mitwirkungsgremien. Doch längst nicht aus allen Kommunen wurden Vertreter dorthin entsandt.
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Schulplätze
Etwas mehr lichtet sich der Debattendschungel rund um das Thema weiterführende Schulen im Landkreis. Der Bedarf ist wegen des Zuzugs sowohl in den Berlin-nahen als auch in den ländlichen Raum hoch, und hohe Wellen schlugen dementsprechend die Debatten im Kreistag und in anderen Gremien. Denn der Landkreis ist per Gesetz zuständig für die Schaffung von Plätzen an weiterführenden Schulen. Bisherige Praxis im Landkreis Dahme-Spreewald, wie auch in anderen Landkreisen war es jedoch, dass die Gemeinden Träger der Oberschulen sind. Denn so eine Schule beschert einem Ort nicht zuletzt so etwas wie Identität, gesellschaftliches Leben und – weiteren Zuzug.
Ein entsprechender Antrag von Linken und Grünen im Kreistag, die Kreisverwaltung möge Schulplätze schaffen, fand bei den anderen Fraktionen indes keine Mehrheit. Offenbar, weil die Kreisverwaltung bereits an einer Lösung arbeitete. Mehrere Gemeinden hatten nach anfänglicher Zurückhaltung Vorschläge für Grundstücke oder Immobilien gemacht, sodass die Kreisverwaltung diese in einer Studie mit Entscheidungsmatrix prüfen ließ. Die Lösung liegt seit Montagabend, als der Bildungsausschuss tagte, auf dem Tisch: Gutachter schlagen aktuell vor, dass Wildau seine Oberschule erweitern und dort ein weiteres Gymnasium gebaut werden könnte.
Der Vorschlag ergibt sich aus einer Matrix, in die Aspekte wie Größe und Verfügbarkeit von Grundstücken, Anbindung, Bedarf u.ä. eingeflossen sind. Die Gutachter stellten fest, dass der größte Bedarf in den kommenden Jahren in den Planungsräumen Königs Wusterhausen sowie Mittenwalde-Bestensee-Heidesee-Schenkenländchen besteht, danach steigt er in Schönefeld nochmals an. Deshalb werde ein zentral gelegener Standort gesucht, der beide Spitzen mit auffangen kann.
Der Vorschlag hat einige Mitglieder des Bildungsausschusses überrascht, die einen Bedarf eher bei Oberschulen und Gesamtschulen sehen – Stichwort Azubi-Mangel und Durchlässigkeit von Bildungsgängen. Man verständigte sich darauf, die Studie innerhalb der Fraktionen in Ruhe auszuwerten und das Thema im nächsten Bildungsausschuss im September weiter zu diskutieren.
In der ganzen Debatte tauchen die Grundschulen noch gar nicht auf. Doch auch diese platzen aus allen Nähten, und die Kommunen müssen Abhilfe schaffen. Dabei gibt es immer wieder Unterstützungsbedarf, etwa, wenn eine kleine Kommune wie Schönwalde Fördermittel in Millionenhöhe für eine Schulerweiterung beantragen muss.
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Ärztemangel
Zahlreiche Lösungsvorschläge liegen auch beim Thema Ärzte-Mangel auf dem Tisch. In Schönwalde ist dieser beispielsweise besonders heftig zu spüren, seitdem ein Hausarzt in den längst überfälligen Ruhestand getreten ist. Ähnlich sieht es in anderen Praxen vor allem im Süden des Landkreises aus. Für den fehlenden Nachwuchs gibt es viele Gründe: zu wenig angebotene Facharztausbildung in den vergangenen Jahren, die Tendenz junger Ärzte, sich lieber anstellen zu lassen als die alleinige Verantwortung und den nicht-medizinischen Zeitaufwand für eine Praxis zu übernehmen und mehr.
In Lübben gibt es inzwischen ein kreisliches medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) beim Klinikum Dahme-Spreewald, in dem Ärzte in Anstellung arbeiten können. Ein kommunales MVZ baut die Stadt Lübben gerade parallel auf. Ein Weiterbildungsnetzwerk hat sich mit finanzieller Unterstützung des Landkreises gegründet, um angehenden Medizinern eine Facharztausbildung von A bis Z im Landkreis zu ermöglichen und sie damit vielleicht dauerhaft hier zu halten. Das sind erste Lösungsansätze, die in den nächsten Jahren Ergebnisse zeigen könnten.
Doch ein Landrat kann weder über die Vergabe von Kassensitzen entscheiden noch Mediziner backen, die in den MVZs arbeiten. Hoffnungen werden in die für Cottbus angekündigte Mediziner-Ausbildung gesetzt. Zu den Herausforderungen gesellen sich die Krankenhausreform, die hoffentlich nicht kleineren Häusern wie in Luckau den Garaus macht, und der Vorstoß der Sana-AG, mehr Anteile am Klinikum Dahme-Spreewald zu erwerben.
Alle drei Kandidierenden haben sich beim ersten Wahlkreisel in Mittenwalde dagegen ausgesprochen, dass die Sana-AG weitere Anteile und damit mehr als 50 Prozent am Klinikum Dahme-Spreewald erhält. Sana hatte die Idee u.a. im Gesundheitsausschuss im April vorgestellt und u.a. mit Erleichterungen bei der Umsatzsteuer begründet, was Spielraum für Investitionen in der Notaufnahme am Standort Königs Wusterhausen schaffen würde. Hintergrund sei ebenfalls, so die Vertreter der Sana-AG, die anstehende Krankenhausreform und die Einteilung von Krankenhäusern in bestimmte Levels, wobei unklar ist, ob diese Idee überhaupt weiterverfolgt wird. Bei den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses stieß der Vorschlag von Sana auf wenig Verständnis, ebenso wie bei einigen Kreistagsfraktionen. Manche Fraktionen sind offen für eine generelle Diskussion um die künftige Zusammenarbeit mit der Sana-AG, wobei eine gute Kooperation in den vergangenen Jahren betont und weiter gewünscht wird. Es zeigt sich, dass auch beim Thema Klinikum Dahme-Spreewald gilt: Ohne seinen Kreistag kann ein Landrat kaum etwas allein entscheiden.
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Wohnraum
Beim Thema Wohnraum sind einem Landkreis dann die Hände weitgehend gebunden, wenn er keine eigene Wohnungsbaugesellschaft hat. Doch wo sollen dringend benötigte Fach- und Arbeitskräfte leben, wo sollen Studenten und Azubis unterkommen? Wo finden Alleinstehende, Senioren und Geflüchtete adäquaten, bezahlbaren Wohnraum und wo können sich Familien ihren Traum vom Eigenheim oder von alternativen Wohnformen mit anderen Familien erfüllen – und wo finden sie Fördermöglichkeiten dafür? Manche Kommunen in Dahme-Spreewald, darunter die Stadt Lübben, vergeben ihre Baugrundstücke für Einfamilienhäuser inzwischen über ein Punktesystem – je mehr Ehrenamt, Familie, gefragter Beruf und Verwurzelung, umso höher das Ranking im Rennen um einen Bauplatz.
Einem Landkreis ohne Wohnungsbaugesellschaft bleibt es, Empfehlungen abzugeben, über Förderprogramme zu informieren und ähnliches. Vor gut einem Jahr hatte der Kreistag die Verwaltung mit der Erstellung einer Wohnraum- und Gewerbeflächenbedarfsanalyse für den gesamten Landkreis beauftragt. Darin sollen „konkrete Handlungsvorschläge, getrennt nach den Entscheidungsebenen: Ämter, Gemeinden, Landkreis, sonstige (z. B. Land, Bund)“ enthalten sein ebenso wie Betrachtungen über die „Auswirkungen und Wechselwirkungen auf die Planung und Errichtung von Einrichtungen der sozialen Infrastruktur sowie der Verkehrsinfrastruktur und die Preisentwicklungen z. B. für Mietwohnungen und Eigenheime“. In die Betrachtungen sollen nachhaltige Wohnbaukonzepte, Bedarf an sozialen Wohnungsbau, Bedarf an Werkswohnungen für z.B. Saisonarbeitskräfte sowie Auszubildendenunterkünfte im Landkreis einfließen.
Die Ausschreibung für die Bedarfsanalyse, so wurde im Frühjahr im Kreistag informiert, werde demnächst erfolgen.
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Fachkräfte
Der Fachkräftemangel prägt den Alltag im Landkreis: Handwerker suchen Azubis (deswegen der Wunsch nach mehr Oberschulplätzen), Kitas suchen Erzieher, Schulen finden keine Lehrer. In der Gastronomie führt Personalmangel zu gekürzten Öffnungszeiten, in Krankenhäusern bleiben Betten frei, weil kein Personal da ist. Andersherum kommen teils gut ausgebildete Menschen zu uns und solche, die gern in Pflegeberufen und in der Logistikbranche arbeiten wollen. Sie schnell in Arbeit zu bringen, ist ebenso das Gebot der Stunde, wie attraktive Lebensbedingungen im Landkreis zu schaffen.
Das Wichtigste jedoch, was ein Landrat beim Thema Fachkräfte tun kann, ist wohl, sich um sein eigenes Personal gut zu kümmern. Denn alle anstehenden Aufgaben kann eine Führungsspitze nur mit einer funktionstüchtigen Verwaltung erledigen. Der Spagat in einer rund 1.000-köpfigen Verwaltung an mehreren Standorten ist groß – jeden mit seinen Stärken und Schwächen mitzunehmen, die Zuständigkeiten und Informationsflüsse zu klären und alle Energien zügigen Lösungen zuzuführen.
Schaut man sich in den Verwaltungen im Landkreis – bei Kreis und Kommunen – um, so scheint dieser Spagat immer wieder auch zu groß zu sein: Die Webseiten mit Stellenausschreibungen sind lang, Fluktuationen zwischen Rathäusern und Kreishäusern offensichtlich: Da geht es aus Wildau nach Königs Wusterhausen, aus Lübben nach Schönwalde, aus Mittenwalde nach Königs Wusterhausen, aus der Lübbener Reutergasse in die Rathausstraße und umgekehrt oder aus Zeuthen ganz woanders hin.
Neben der Gewinnung neuer Mitarbeiter, gilt es, das bestehende Personal an sich zu binden. Die Nase vorn hat augenscheinlich, wer das bessere Gehalt zahlen kann – aber nicht nur. Das Bleibebarometer Öffentlicher Dienst der Agentur Next:Public hat 2022 untersucht, welche Erwartungen die Beschäftigten an ihren Arbeitgeber haben und wie Personalbindung gelingen kann. Demnach könnten sich 80 Prozent der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst vorstellen, den Arbeitgeber zu wechseln. Knapp ein Drittel würde auch zu einem Arbeitgeber in die Privatwirtschaft wechseln. 7.500 Personen haben aus dem Öffentlichen Dienst in Bund, Ländern und Kommunen haben an der Umfrage teilgenommen.
Sie hat u.a. ergeben, dass Mitarbeiter in Verwaltungen größtenteils zufrieden mit ihrer konkreten Tätigkeit sind, jedoch nicht unbedingt mit ihrem Arbeitgeber. Oft hängt es an den Zielen einer Behörde, mit denen sich die Mitarbeiter nicht (ausreichend) identifizieren. Eine wichtige Rolle spielt auch das wahrgenommene Arbeitsklima und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Drittel ist gar der Meinung, dass die eigene Arbeit krank mache – aufgrund von hohem Termin- und Leistungsdruck und fehlender Anerkennung.
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