Grüne suchen Kurs und Kandidaten
Eigentlich wollten die Grünen im Landkreis am Montag ihre/n Kandidierende/n für die Landratswahl wählen. Doch die Frage, ob und warum man einen grünen Wahlkampf wolle und wie dieser sein müsse, war wichtiger. Sie könnte das Vorhaben am Ende vereiteln.
Von Dörthe Ziemer
Unter Tagesordnungspunkt (Top) 3 der Kreismitgliederversammlung am 9. Januar sollte eigentlich der/die Kandidierende der Grünen für die Landratswahl am 8. Oktober 2023 gewählt werden. Mindestens eine/n potenzielle/n Bewerber/in hatte es im Vorfeld gegeben. Der Top sollte mit einer Vorstellungsrunde beginnen, auf die der Beschluss, mit einem eigenen Kandidaten anzutreten, und die Wahl selbst gefolgt wären. Nur wenn der Beschluss keine Mehrheit gefunden hätte, wäre der Vorstand im Anschluss beauftragt worden, die bisher bekannten zwei Kandidierenden einzuladen, um eine mögliche Unterstützung auszuloten. Doch es kam nicht einmal zur Vorstellungsrunde. Sabine Freund, Co-Vorsitzende des Kreisverbandes, leitete den Top mit der Feststellung ein, dass zunächst darüber diskutiert werden müsse, ob der Kreisverband selbst einen Kandidaten aufstellen wolle. „Dazu gibt es offensichtlich viel Redebedarf“, ergänzte Sandra Pengel, die zweite Co-Vorsitzende.
Die darauffolgende, anderthalbstündige Debatte offenbarte zahlreiche strategische Überlegungen für so eine Kandidatur. Ob es besser für grüne Themen und Anliegen wäre, wenn der eigene Kandidat diese im Wahlkampf und beispielsweise bei Podiumsdiskussionen gebührend vertritt oder wenn diese Themen durch einen anderen Kandidaten quasi als Gegenleistung für die Unterstützung aufgenommen und angebracht würden. Ob man wirklich den Verwaltungsfachmann für die Kandidatur brauche, der auch den Posten des Landrates angemessen ausfüllen kann, oder nicht eher jemanden, der Menschen überzeugen und grüne Themen rüberbringen kann. Denn dass der eigene Kandidat wirklich Landrat werden würde, davon schien an diesem Abend niemand auszugehen. Und ob man nicht sowieso, aus Gründen der Fairness, aber auch um einer künftigen guten Zusammenarbeit willen, die anderen Kandidierenden, so sie aus Sicht der Grünen auf demokratischen Fundamenten stehen, einladen solle – egal, ob man am Ende eine/n eigene/n Kandidierende/n ins Rennen schickt.
Auch der Landesvorstand signalisiere Interesse daran, berichtete Sabine Freund, dass es eine grüne Kandidatur aus Dahme-Spreewald gebe. „Die Landesgeschäftsstelle hat uns schon vor längerem daran erinnert, dass bei uns eine Wahl ansteht“, sagte sie. Der Kreisverband Dahme-Spreewald habe auch Clemens Wehr in Ostprignitz-Ruppin unterstützt. „Er ist ein toller Typ, aber kein Verwaltungsfachmann. Er hat keine zehn Prozent gerissen, aber es war trotzdem ein Erfolg“, stellte sie fest. Denn er sei zur Stichwahl in Verhandlungen gegangen, um grüne Themen zu platzieren. Für den Landesvorstand sei wichtig, dass „der grüne Stuhl besetzt ist und dass grüne Politik thematisiert wird“. Bereits seit einem Jahr sei der Kreisvorstand deshalb auf Kandidatensuche etwa in grünen Foren, in Verwaltungsarbeitsgemeinschaften und anderswo außerhalb des Landkreises, sagte sie.
„Wir haben es nicht verstanden, uns in diesem Land so zu profilieren, dass wir positiv wahrgenommen werden. Stattdessen dümpeln wir bei sieben Prozent herum.“
Lothar Treder-Schmidt, Grüner aus Luckau
Erstaunlich bei der Debatte war, mit welcher Offenheit sie geführt wurde. Immerhin fand sie in einer öffentlichen Kreismitgliederversammlung statt. Sie traf ins Mark dessen, was die Grünen umtreibt: Wie können sie mit ihren Themen stärker in den Köpfen der Menschen landen? Wie lasse sich grüne Politik besser vermitteln? „Wir stehen als Grüne schwach da im Moment“, sagte Lothar Treder-Schmidt, Mitglied und Kreistagsabgeordneter aus dem Südkreis. „Wir haben es nicht verstanden, uns in diesem Land so zu profilieren, dass wir positiv wahrgenommen werden. Stattdessen dümpeln wir bei sieben Prozent herum.“ Ihm falle es im ländlichen Raum beispielsweise schwer zu vermitteln, was die Grünen von der Regierungsbeteiligung in Land hätten.
Vor diesem Hintergrund sei es eine wichtige Frage, ob die Grünen im Landkreis bereit seien, den Wahlkampf „volle Pulle zu machen, um zu dokumentieren: Wir Grünen sind kraftvoll“. Das sehe er im ländlichen Raum ungleich schwieriger als im berlinnahen. Stefan Faust aus Königs Wusterhausen pflichtete ihm bei: „Der Wahlkampf ist eine Aufgabe des gesamten Kreisverbandes – auch im ländlichen Raum. Wir können die Freunde dort nicht allein lassen.“ Außerdem brauche es einen „Super-Kandidaten“, forderte Lothar Treder-Schmidt. „Es muss rausspringen, dass die Leute sagen: Donnerwetter! Da ist ein guter Kandidat, der die Leute mitreißt.“ Wenn bei der Wahl nur zwei bis drei Prozent rauskämen, stellten die anderen womöglich fest, „dass bei uns nichts zu holen ist“. Vor diesem Hintergrund brauche es jemanden, der im ländlichen Raum und im berlinnahen Raum „gleichermaßen vermittelbar“ sei.
„Die Ansprüche an die Bewerber sind zu hoch. Da hat keiner Lust zu kandidieren. Wir hier sind doch einfache Grüne.“
Sabine Freund, Vorsitzende der Kreis-Grünen
Offenbar sind es Ansprüche wie diese, die Sabine Freund an diesem Abend davon abhielten, ihre Bewerbung in die Runde zu geben. „Ich hätte Lust darauf gehabt“, ließ sie nach einem guten Teil der Debatte verlauten. „Aber die Ansprüche an die Bewerber sind zu hoch. Da hat keiner Lust zu kandidieren. Wir hier sind doch einfache Grüne.“ Wer kandidiere, der brauche die Unterstützung des Kreisverbandes. Diese sehe sie derzeit nicht, kritisierte sie. Das rüttelte einige Anwesende offenbar auf: Sie bedaure, dass Sabine Freund nicht kandidiere, erwiderte Ines Kühnel aus Königs Wusterhausen. „Ich würde mich freuen, wenn du es dir nochmal überlegst und dich zur Wahl stellst“, sagte sie an Sabine Freund gerichtet und erntete allgemeines Tischklopfen – das einzige an diesem Abend. Eine neue Deadline für interessierte Bewerber bis zum 31. Januar war da schon vorgeschlagen. Zuvor hatten mehrere Mitglieder betont, wie sehr den Grünen ein eigener Kandidat zu Gesicht stünde. Es sei „eine Sache der Ehre und der Qualität“, sagte einer. Als Regierungspartei in Bund und Land solle man einem eigenen Kandidaten den Vorrang geben, fand ein anderer. Das zeige, „dass wir da sind und uns engagieren, auch im ländlichen Raum“.
Ob Sabine Freund am Ende doch noch in den Ring steigt, darüber werde sie weiter nachdenken und noch viele Gespräche führen, kündigte sie Wokreisel gegenüber an. Bereits im Vorfeld der Mitgliederversammlung hatte sie mit vielen Mitgliedern gesprochen, darunter auch solche, die sie zuletzt nicht eben bestärkt hätten sich zu bewerben. Von Landesebene seien ermutigende Signale gekommen, sagte sie. Sabine Freund ist seit vielen Jahren Vorstandsmitglied der Kreis-Grünen, nun auch Vorsitzende und bearbeitet dort als Vertreterin des Regionalbereichs Schönefeld die Themenbereiche Kommunalpolitik, Radverkehr, Infrastruktur und Flughafen. Sie kandidierte bei der Landtagswahl 2019, arbeitete im Landesvorstand der Grünen mit und ist Kreistagsabgeordnete.
Blieb die Frage, wie mit den anderen beiden bekannten Kandidierenden umzugehen sei. Susanne Rieckhof, derzeit Vizelandrätin, tritt für die SPD an. Sven Herzberger, derzeit Bürgermeister in Zeuthen, wird von CDU, FDP, Linken und Freien Wählern (UBL) unterstützt. Eine Allianz, die angesichts ihrer politischen Breite von den Grünen mit Staunen und Kopfschütteln kommentiert wurde. Viele Grüne wussten über die eine und den anderen viel zu erzählen, andere kannten beide nicht. Ein Vorstellungstermin wäre hilfreich, fanden viele. Andere hielten genau das für überflüssig und favorisierten eine grüne Kandidatur. Eine Einladung an beide erfolgt, darauf verständigten sich die Mitglieder mehrheitlich via Beschluss, nur, wenn es keine/n grüne/n Kandidierende/n gibt.
Damit sind die Grünen eine von zwei Parteien im Landkreis, bei denen es kontroverse Debatten um die Kandidatur für die Landratswahl 2023 gibt – mithin darum, welche Themen in den kommenden acht Jahren wichtig sind, welche Kompetenzen so ein Amt braucht und was der Aufwand des Wahlkampfes der eigenen Partei bringt. Bei der SPD traten zwei Bewerber und eine Bewerberin an, tourten durch die Ortsverbände und präsentierten sich auf zwei – nichtöffentlichen – Regionalkonferenzen. Am Ende blieb die Frage, wie demokratisch und transparent das Verfahren wirklich war. Auf einer öffentlichen Gesamtmitgliederversammlung wurde schließlich Susanne Rieckhof gewählt. Sven Herzberger zieht seine Unterstützung aus Mitgliedervollversammlungen von CDU und FDP, die einstimmig für ihn votierten, aus einer Mitgliederversammlung der Linken, bei der eine Gegenstimme fiel, sowie aus einem Votum der Kreistagsfraktion der Unabhängigen Bürgerliste. Zuvor hatten sich die jeweiligen Kreisvorstände für eine Kandidatur Herzbergers positioniert.
Wokreisel lädt zum Wahlkreisel
Häufig ist den Menschen nicht klar, was ein Landrat überhaupt macht. Der Wahlkreisel soll Menschen im ländlichen Raum, die häufig kaum Zugang zu kreispolitischen Debatten haben oder suchen, einerseits mit den Aufgaben des Landrates und andererseits mit der Programmatik der Kandidierenden bekannt machen. Gemeinsam mit Einwohnern sollen relevante Themen identifiziert werden, die sowohl für ihren Ort als auch für den Landkreis eine Rolle spielen (Landwirtschaft, Strukturwandel, Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung usw.). Über diese Themen kommen die Menschen mit den Kandidierenden ins Gespräch.
Der Auftakt für den Wahlkreisel findet am 23. Februar ab 17.30 Uhr im Bürgertreff Halbe statt. Die Wählerinnen und Wähler haben das Wort: Was möchten sie von den Kandidierenden wissen? Welche Themen sollten im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen? Welche Orte im Landkreis sollten im Fokus stehen? Dazu wollen wir gemeinsam vier Themenschwerpunkte entwickeln.
Hier geht's zur Anmeldung für den Wahlkreisel-Auftakt.
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