Nach der Abwahl der Ersten Beigeordneten geht der Landrat davon aus, dass die Arbeit der Kreisverwaltung nun „störungsfrei“ fortgesetzt werde. Doch die Vorgänge rund um die Abwahl dürften nachwirken. Der Schaden ist groß – für alle. Wie geht es weiter?
Eine Analyse von Dörthe Ziemer
Für den Antrag von Landrat Sven Herzberger (parteilos) auf Abwahl der Ersten Beigeordneten Susanne Rieckhof (SPD) stimmten in der Kreistagssitzung am 13. November 40 Kreistagsmitglieder – zwei mehr als notwendig (38) gewesen wären. Ein Antrag, den 32 Kreistagsabgeordnete zuvor gestellt hatten, bekam nur 37 mal Ja. Die Arbeit in der Kreisverwaltung könne nun „störungsfrei“ fortgesetzt werden, es ziehe wieder „Ruhe und Normalität in der Kreisverwaltung ein“, sagte Landrat Sven Herzberger nach der Abstimmung. Doch so einfach dürfte es nicht werden. Der Schaden, den die Ereignisse dieses Sommers ausgelöst haben, ist groß. Und das zum Beginn einer neuen Wahlperiode sowohl für den Landrat als auch für den Kreistag – und nach einem Wahlkampf, in dem es immer wieder um Bürgernähe, Vertrauen und Transparenz ging.
Der Ersten Beigeordneten wurden über den Sommer mehrere Vergehen vorgeworfen, der Schuldbeweis steht noch aus. Das Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin und das Disziplinarverfahren im Innenministerium laufen weiter. Da darf man immerhin auf Erhellung in der Sache hoffen. Mindestens eine Fraktion im Kreistag kehrt Scherben zusammen. Eine andere darf sich erneut fragen lassen, wie sie es mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD gegenüber hält. Landrat Sven Herzberger spricht von Wahrhaftigkeit und muss künftig zeigen, wie er es selbst damit hält.
Sven Herzberger und Susanne Rieckhof, hier im Wahlkampf 2023. Fotos: Karen Ascher
Wie geht es in der Verwaltung weiter?
Die Leitung des Dezernats für Ordnung, Recht und Verbraucherschutz soll im ersten Quartal 2025 ausgeschrieben werden, teilt die Pressestelle des Landkreises mit. Der Kreistag soll die Ausschreibung in seiner Sitzung am 29. Januar beschließen. Zur Besetzung der/des Ersten Beigeordneten werde es im ersten Halbjahr ein förmliches Verfahren geben. Bei der letzten Ausschreibung für dieses Amt war es mit einem konkreten Dezernat verknüpft worden. Damals war der Erste Beigeordnete Chris Halecker als Dezernent für Verkehr, Bauwesen und Umwelt wegen eines Strafbefehls abgewählt worden, die Stelle wurde genau so ausgeschrieben und an Susanne Rieckhof, damals bereits Dezernentin in der Kreisverwaltung, vergeben. Später änderte der ehemalige Landrat Stephan Loge den Zuschnitt der Kreisverwaltung.
Spannend dürfte nun werden, ob sich der Aufbau der Verwaltung erneut ändert und das Dezernat des/der künftigen Ersten Beigeordneten wieder größer wird. Sven Herzberger hatte kurz nach seinem Dienstantritt im März die Verwaltung umgebaut und dabei das Dezernat der Ersten Beigeordneten mit wesentlich weniger Ämtern ausgestattet als die anderen Dezernate. Eines der Hauptargumente war, dass die Erste Beigeordnete den Landrat stärker bei Repräsentationsaufgaben unterstützen solle. Bei der Analyse des Verwaltungsaufbaus sei es nicht um konkrete Personen gegangen, „sondern darum, dass etwas zweckmäßig zusammengehört“, sagte Sven Herzberger im Juni im Wokreisel-Interview.
Die Kreisverwaltung in der Lübbener Reutergasse. Foto: Dörthe Ziemer
Auch Kreistagsabgeordnete hegen bezüglich der Stellenbesetzung Wünsche. Lutz Krause (UBL) beispielsweise wünscht sich, dass die Stelle mit jemandem besetzt werde, „der mit dem Landkreis nichts zu tun“ habe und dass es „keine Kungelrunde“ entlang von Parteibüchern geben werde. Vor diesem Hintergrund sehe er es kritisch, dass der Landrat Ende Oktober der Nominierung der CDU-Direktkandidatin für den Bundestag Jana Schimke beiwohnte. Wenn er dann aus Richtung CDU lese, der Landrat sei „einer von ihnen“ – „dann trifft uns das schon“, so Lutz Krause. Die UBL hatte Sven Herzberger bei seiner Landratskandidatur unterstützt.
Für die Vorgänge innerhalb der Verwaltung gibt es ebenfalls Wünsche. „Die Verfahrensweise zwischen Sven Herzberger und Susanne Rieckhof ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt Adolf Deutschländer (Linke). „Sie hätten miteinander reden müssen, ich wäre so nicht vorgegangen.“ Die Linke hatte ebenfalls Sven Herzbergers Landratskandidatur unterstützt. Adolf Deutschländer stimmt in seiner Sichtweise mit Altlandrat Martin Wille (SPD) überein, der sich im Falle mutmaßlicher Verfehlungen „den Sünder an den Schreibtisch“ geholt und die Sache geklärt hätte, wie er kürzlich sagte. Das war bis zur schriftlichen formalen Anhörung an Susanne Rieckhof nicht passiert, kritisierte auch Andrea Lübcke (Grüne) im Kreistag. So ein Vorgang wie diese Abwahl „könnte dazu führen, dass Führungspersonal beliebig ausgetauscht werden kann und dass dieser Führungsstil Mitarbeitende verunsichert“, erklärte sie nach der Abstimmung, auch im Namen von Fraktionsmitgliedern.
Wie ist die Stimmung im Kreistag?
Auch die Fraktionen untereinander hat die Abwahl durchgeschüttelt. Während die meisten Kreistagsmitglieder den von Sven Herzberger erklärten Vertrauensverlust als ausreichenden Grund für die Abwahl sahen, hätten vor allem Mitglieder Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS lieber auf der Grundlage von Ermittlungsergebnissen entschieden. „In meinen Augen ist diese Entscheidung eher eine politisch motivierte Selbstjustiz, die nun in der Abwahl der 1. Beigeordneten gipfelte“, urteilt die Co-Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Katharina Knaack in einer Pressemitteilung. Die Beurlaubung von Susanne Rieckhof und die anhaltende begleitende mediale Berichterstattung gleiche einer Vorverurteilung.
Doch nicht alle in der Fraktion teilen diese Sichtweise. Adolf Deutschländer und Claudia Mollenschott (beide Linke) hatten in der Abstimmung zum Antrag des Landrates für die Abwahl gestimmt – ebenso wie sowie Lutz Krause (UBL). Alle drei wollten nicht einem Antrag zustimmen, der von der AfD unterzeichnet wurde (s.u.). In der Sache schlossen sich alle drei der Auffassung von Landrat Sven Herzberger an: dass eine Zusammenarbeit mit Susanne Rieckhof nicht mehr möglich sei. Deshalb änderten sie in der zweiten Abstimmung ihre Meinung von Enthaltung zu einem Ja für die Abwahl. „Was soll dabei rauskommen, wenn sie weiter im Amt bliebe?“, fragte Lutz Krause. Entscheidend sei jetzt, den Landrat zu stärken. Wie die UBL hatte auch die Linke Sven Herzberger im Landratswahlkampf unterstützt.
Er habe sich persönlich für den parteilosen Kandidaten Sven Herzberger eingesetzt, sagte Adolf Deutschländer. „Deshalb wollte ich jetzt meiner Überzeugung treu bleiben.” Claudia Mollenschott erklärte, für sie sei „das Handeln des Landrats konsequent und hinreichend erklärt. Alles weitere müssen die Gerichte klären”. Sie habe mit ihrer Entscheidung Schaden vom Landkreis abwenden wollen. „Auch Frau Rieckhof wird dabei immer weiter beschädigt, was ich ablehne. Das hat niemand verdient”, teilte sie mit.
Verpflichtung der neuen Kreistagsabgeordneten im Sommer 2024. Foto: Dörthe Ziemer
Zugleich vermutet Claudia Mollenschott, dass ihr Abstimmungsverhalten für die Fraktion zur Belastung werden könnte. Sie habe ihre Fraktionsvorsitzenden erst zwei Stunden vor der Sitzung darüber informiert. Die Vereinbarung innerhalb der Fraktion besagt derweil offenbar, dass man sich in der Fraktionssitzung erkläre. „Dies war kein korrektes Vorgehen meinserseits“, so die Kreistagsabgeordnete. „Es liegt aber in der Natur der Demokratie, dass man nicht immer einer Meinung sein muss und dennoch demokratisch miteinander umgehen kann.“
Für sie sei das nicht das Ende der Fraktion, stellt Claudia Mollenschott fest: „Inhaltlich haben wir sehr viel gemeinsam.“ Dem stimmt ihr Fraktions- und Parteikollegen Stefan Ludwig zu. „Wir haben als Fraktion noch viel vor“, sagt er, nimmt zum Abstimmungsverhalten seiner Fraktionskollegen jedoch nicht Stellung. Er hatte gegen die Abwahl gestimmt. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Andrea Lübcke (Grüne) und Thomas Irmer (SPD) teilen mit, sie hätten „das Abstimmungsverhalten zur Kenntnis genommen und werden innerhalb der Fraktion darüber beraten“.
Die Fraktion CDU/FDP/Bauern/StdD votierte geschlossen für die Abwahl. Man verbinde damit „die Hoffnung, dass der Weg frei ist für eine wieder vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit der Verwaltungsspitze“, teilte der CDU-Kreisvorsitzende und Fraktionschef Björn Lakenmacher mit. „Die Weichen für eine funktionierende Arbeitsebene“ seien gestellt. Es sei nachvollziehbar gewesen, „dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Landrates mit Frau Rieckhof in Zukunft nicht mehr möglich ist“. Doch nicht alle Fraktionsmitglieder waren sich vor der Abstimmung sicher, ob sie überhaupt anwesend sein würden, wie Wokreisel erfuhr. Die Einigkeit der Fraktion am Tag der Abstimmung hatte sich schon zuvor darin angekündigt, dass der Fraktionsvorsitzende sich jederzeit hinter den Landrat stellte. Beinahe gebetsmühlenartig hatte Björn Lakenmacher auf unsere Anfragen geantwortet, durch den Landrat gut informiert zu sein und die Sachlage ausreichend bewerten zu können.
Und so stehen sich die Ansätze der Kreistagsmitglieder, die für und gegen die Abwahl gestimmt hatten, diametral gegenüber: Die einen berufen sich auf die Brandenburgische Kommunalverfassung, wonach abgeschlossene Ermittlungsverfahren oder gar Verurteilungen für eine Abwahl nicht vorliegen müssen. Und die anderen hätten gern auf der Grundlage von Ergebnissen der Ermittlungsbehörden entschieden. Dass die Abwahl „ohne jede Rücksicht auf Transparenz oder eine ordnungsgemäße Klärung der Vorwürfe vorangetrieben“ wurde, widerspreche „auch dem Fairness- und Gerechtigkeitsempfinden einer Vielzahl der Bürgerinnen und Bürger im Landkreis, wie uns zuletzt vielfach gespiegelt wurde“, sagt der Co-Vorsitzende der SPD Dahme-Spreewald Christian Könning. „Der Gesetzgeber hat den Mitgliedern des Kreistages aus guten Gründen die Möglichkeit einer Abwahl von Beigeordneten eingeräumt, also eindeutig ein an bestimmte Hürden gekoppeltes eigenes Entscheidungsrecht gegeben“, – das ist für Björn Lakenmacher ausschlaggebend.
Was ist mit der Brandmauer?
Die beiden Anträge, die zur Abwahl von Susanne Rieckhof im Raum standen, werfen ein Schlaglicht auf eine Debatte, die nach den Wahlen dieses Jahres etwas abgeebbt ist: die um die Brandmauer gegen die AfD. Viele Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD, die in Brandenburg als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet wird und einige als rechtsextremistisch eingestufte Politiker in ihren Reihen hat, aus. Die CDU hat 2018 sogar einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst, der besagt: keine Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland (und auch nicht mit der Linken). Die Frage ist: Was bedeutet Zusammenarbeit? Für den Antrag und die Abwahl – ohne die Stimmen von SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS – waren die Stimmen der AfD im Kreistag unerlässlich.
Und tatsächlich gab es mit Lutz Krause (UBL), Claudia Mollenschott und Adolf Deutschländer (beide Linke) drei Abgeordnete, die zwar der Abwahl zustimmten, aber keinen von der AfD mitunterschriebenen Antrag unterstützen wollten. „Ich fand es unmöglich, wie die AfD gegen die SPD vorgegangen ist“, begründet Adolf Deutschländer seine Haltung und erinnert an den Sonderkreistag im September. Den hatte die AfD beantragt, weil sie einen Untersuchungsausschuss zu den Spendenvorwürfen in der Wirtschaftsförderungsgesellschaft einrichten wollte. Dabei beantragte sie außerdem, einige SPD-Mitglieder wegen Befangenheit von der Abstimmung auszuschließen. „So einer Haltung kann ich nicht meine Stimme geben”, erklärte er. Ähnlich ging es Claudia Mollenschott: „Ich wollte mich auf keinen Fall mit einem Antrag gemein machen, der von der AfD getragen wird.“
Das neue Kreistagspräsidium. Olaf Schulze (CDU, l.) war zur Wahl in Konkurrenz mit Georg Hanke (SPD) auf Stimmen der AfD angewiesen. Neben ihm: Claudia Mollenschott (Linke) und Oliver Calov (AfD). Foto: Dörthe Ziemer
Björn Lakenmacher hatte schon bei der Wahl des Kreistagsvorsitzenden betont, nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Doch wenn man davon ausgeht, dass die Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS sowohl für ihren Kandidaten für den Kreistagsvorsitz, Georg Hanke, als auch im Zweifel für die Erste Beigeordnete mit SPD-Parteibuch und frühere SPD-Landratskandidatin abstimmt, so blieb Björn Lakenmachers Fraktion CDU/FDP/Bauern/StdD rechnerisch nichts anderes übrig, als auf die Stimmen der AfD zu setzen.
Und nun?
Jetzt komme es darauf an, Politik zum Wohle des Landkreises zu machen, betonen alle Parteien und der Landrat einhellig. Die Frage ist, warum es so schwer ist, dasselbe darunter zu verstehen. Landrat Sven Herzberger antwortete im Kreistag auf eine Stellungnahme von Andrea Lübcke (Grüne), dass gute Zusammenarbeit Wahrhaftigkeit bedeute, und warf ihr vor, mit unwahren Tatsachenbehauptungen zu agieren. Es ging dabei um die Frage, ob Susanne Rieckhof sich in der Sache hätte öffentlich äußern können. Der Landrat sagte Ja. Andrea Lübcke, die auch für ihre Fraktion sprach, Nein.
Es war nicht das erste Mal, dass die Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS eine dem Landrat entgegengesetzte Auffassung vertrat, zuletzt etwa in der Debatte um die Gesellschafterversammlungen. Landrat Sven Herzberger hatte im Kreistag im September von Neuerungen in der Gesetzgebung gesprochen, weshalb keine Kreistagsmitglieder mehr in die Versammlungen entsandt würden und die entsprechenden Abschnitte im Gesellschaftsvertrag „leer liefen“. Er hatte dabei Tina Fischer (SPD) Unkenntnis in dieser Sache vorgehalten – zu Unrecht, wie sich später zeigte. Die anderen Fraktionen kamen ihrerseits zu ganz unterschiedlichen Bewertungen im Verlauf dieser Debatte.
Um Wahrhaftigkeit ringen: Diese Aufgabe dürfte sich also allen Beteiligten stellen – ebenso wie um Vertraulichkeit, aber auch um Transparenz. Mehrfach waren in der Vergangenheit Informationen aus der Kreisverwaltung und dem nichtöffentlichen Teil des Kreistages durchgestochen worden. Zuletzt soll das Innenministerium bei der Weiterleitung vertraulicher Informationen des Landrates an die Abgeordneten beteiligt gewesen sein, wie der Kreistagsvorsitzende Olaf Schulze (CDU) im Kreistag mitteilte. Aus diesen Vorgängen leiteten Kreistagsabgeordnete wie Kersten Haase (BVB/Freie Wähler), Lutz Krause (UBL) und Landrat Sven Herzberger in der jüngsten Kreistagssitzung eine ausführliche Medienschelte ab.
Doch was wären Medien ohne Informationen? Macht sich der schuldig, der vertrauliche Information annimmt und verarbeitet, oder der, der sie übermittelt? Wie ist es mit der Transparenz, wenn Abgeordnete öffentlich ohne Debatte über eine Personalie entscheiden müssen und hinreichende Informationen dazu vertraulich bleiben sollen? Können Wählerinnen und Wähler solche Entscheidungen nachvollziehen? Können sie Politik dann überhaupt nachvollziehen? Für Medien ist es Aufgabe und Pflicht, über solche Vorgänge zu informieren und nicht nur offizielle Verlautbarungen wiederzugeben. Dabei müssen sie vertrauliche wie nichtvertrauliche Informationen – und die jeweiligen Informanten mit ihren Motiven – bewerten, prüfen und die Rechercheergebnisse mit ganzheitlichem Kontext verbreiten.